„Wenn Zeitungen eingehen, sinkt die Wahlbeteiligung“
von Sascha Lübbe
Bedroht die Krise des Lokaljournalismus die Demokratie? Der Politikwissenschaftler Daniel Kübler von der Universität Zürich meint: Ja. Er befürchtet weitreichende Folgen. Eine Vorabveröffentlichung aus der kommenden Ausgabe der drehscheibe zum Thema Kommunalpolitik.
Herr Kübler, die Wahlbeteiligung bei Gemeindewahlen in der Schweiz sinkt, die Zahl eigenständiger Lokalzeitungen ebenso. Sie sagen, darin besteht ein Zusammenhang. Bedroht die Krise des Lokaljournalismus die Demokratie?
Ich denke, schon. Die Wahlbeteiligung sinkt seit Jahrzehnten, nicht nur auf der Gemeindeebene, auch auf Ebene der Kantone und national. Das ist in allen westlichen Demokratien so. Viele Faktoren dafür wurden bereits untersucht: die Gemeindegröße, die Frage, wie fest verankert die lokale Gemeinschaft ist. Was noch nicht untersucht wurde, ist die lokale Medienlandschaft. Da haben wir angesetzt.
Sind Sie in Ihrer Studie zu zentralen Ergebnissen gekommen?
Ja. Je besser die Zeitungen gelesen werden, die in der Gemeinde erscheinen, je intensiver ihre Berichterstattung über lokale Politik, desto höher ist auch die Wahlbeteiligung. Das bedeutet im Umkehrschluss: Wenn die Zeitungen eingehen, es also niemanden mehr gibt, der über lokale Politik berichtet, sinkt auch die Wahlbeteiligung.
Wie haben Sie das untersucht?
Wir haben uns in unserer Studie auf die sechs größten Ballungsräume der Schweiz konzentriert, also auf Zürich, Genf, Basel, Lausanne, Luzern und Lugano. Dort leben knapp drei Millionen Menschen, fast die Hälfte der städtischen Bevölkerung in der Schweiz. Das waren 408 Gemeinden. Natürlich konnten wir nicht alle Medien, die dort erscheinen, einzeln untersuchen. Daher haben wir uns gegen eine Inhaltsanalyse entschieden und nach einem anderen Weg gesucht, die Marktstruktur zu untersuchen, nämlich über die Kongruenz des lokalen Zeitungsmarktes.
Können Sie das erläutern?
Der Faktor Kongruenz beschreibt, inwiefern der Markt der Lokalzeitungen einem politischen Raum entspricht, also einer oder mehrerer Wahlgemeinden. Zur Erklärung: Wenn alle Leser der im Verbreitungsgebiet erscheinenden Zeitungen auch im Verbreitungsgebiet leben, ist die Kongruenz gleich eins. Wenn keiner der Leser der Zeitung im Verbreitungsgebiet lebt, ist die Kongruenz gleich null. Empirisch liegt der Wert immer irgendwo dazwischen. Man kann aber davon ausgehen, dass eine höhere Kongruenz dazu führt, dass Medien über politische Ereignisse in diesem Raum berichten. Was wiederum – wie oben erwähnt – zu einer höheren Wahlbeteiligung führt.
Kann sich der Wert verändern?
Ja. Zum Beispiel, wenn mehrere Zeitungen zusammengelegt werden, etwa weil sie aufgekauft werden. Dann vergrößert sich ihr geografisches Einzugsgebiet. Damit ist es wahrscheinlich, dass weniger aus dem Lokalen berichtet wird. Wir sprechen dann von einer De-Lokalisierung der Berichterstattung. Die wiederum kann zu einer „Ent-Öffentlichung“ des Lokalen führen, wie der Soziologe Kurt Imhof es nannte. Es gibt dann keine öffentlichen Sphären mehr, in denen sich die Bürger über lokale Politik informieren können. Nur noch in persönlichen Gesprächen auf der Straße, am Stammtisch der Gaststätten oder auf der Homepage der Gemeinde. Aber nicht mehr über journalistische Medien.
Welche politischen Folgen hätte diese Entwicklung noch?
In unserer Studie haben wir nur die Wahlbeteiligung untersucht. Aber man kann sich die weiteren Folgen denken. Es würde zu einer Entfremdung zwischen Gemeindepolitik und Bevölkerung kommen. Letztens wurde ich gefragt, ob das für die Gemeindepolitiker nicht auch angenehm wäre – schließlich würde niemand mehr kritisch über sie berichten. Aber diese Sichtweise ist falsch. Weil die Politik mit der Bevölkerung abgestimmt sein muss. Wenn sie es nicht ist, kann es sein, dass Politiker etwas beschließen, das völlig gegen die Interessen der Bevölkerung gerichtet ist. Dann kann es zu Protesten kommen. Die Politik würde so unberechenbar, das wäre auch für die Behörden ein Problem.
Die Wahlbeteiligung hängt auch von anderen Faktoren ab. Je kleiner die Gemeinde, desto höher ist die Wahlbeteiligung. Heißt das im Umkehrschluss, Lokaljournalisten müssten sich mehr an Menschen richten, die in größeren Gemeinden leben, um sie zur Wahl zu motivieren?
Das würde ich nicht sagen. Eine Neuausrichtung des Lokaljournalismus kann da nicht viel verändern. Letztlich ist die Beteiligung bei kleineren Gemeinden auch deswegen besonders hoch, weil eine Stimme mehr Gewicht hat als in größeren Gemeinden.
Können lokale Online-News eine Möglichkeit zur Lösung sein?
Seiten mit lokalen Online-News haben den Platz der Lokalzeitungen bisher noch nicht eingenommen. Das hat vor allem finanzielle Gründe. Es ist generell schwierig, mit Online-Medien Geld zu machen. Im Lokalen gilt das noch mal besonders. Je kleiner der Markt, desto schwieriger ist es. Früher haben lokale Medien davon profitiert, dass Unternehmen aus der Region auf ihren Seiten Anzeigen geschaltet haben. Heute ist das entkoppelt. Sie können den Guardian oder die New York Times lesen und bekommen dabei Werbung für ihren lokalen Metzger angezeigt. Die neuen Möglichkeiten der Online-Werbung haben den klassischen Werbemodellen den Boden entzogen, besonders im Lokaljournalismus.
In Großbritannien kooperiert die öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt BBC mit Lokalmedien. Wäre das auch ein Modell für Deutschland oder die Schweiz?
Das müsste man sich schon genauer anschauen. Einerseits ist es sicher positiv, wenn Lokalzeitungen Kosten sparen, indem sie auf Inhalt von öffentlich-rechtlichen Medien zurückgreifen dürfen. Andererseits führt das vielleicht zu zusätzlicher Konkurrenz für andere Zeitungen in einem lokalen Markt und somit zu Wettbewerbsverzerrungen. Damit wäre dann auch niemandem gedient.
Eine Möglichkeit, sagen Sie, wären journalistische Nachrichtenangebote von nicht kommerziellen Akteuren, etwa von Stiftungen. Bei vielen Lokaljournalisten schrillen da die Alarmglocken, weil sie um die Unabhängigkeit der Presse fürchten. Wie kann man die bewahren?
Das ist natürlich die große Frage. Aber es gibt ja bereits Modelle, die funktionieren. Öffentlich-rechtliches Fernsehen und Radio beispielsweise. Warum sollte das nicht auch im Printjournalismus gehen? Man könnte zum Beispiel eine Stiftung gründen, die den Printjournalismus unterstützt und dennoch unabhängig bleibt. Schwierig wird es nämlich, wenn lokale Behörden die Berichterstattung vollkommen selbst in die Hand nehmen. Das wäre Behördenpropaganda, das würde niemand lesen wollen. Letztlich bin ich zwar Politik- und kein Medienwissenschaftler, aber ich glaube dennoch: Ein alternatives Finanzierungsmodell scheint mir die beste Lösung zu sein.
Interview: Sascha Lübbe
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