Wenn Lokaljournalisten die Arme hochkrempeln
von Stefan Wirner
Wundern Sie sich auch manchmal, was man so alles in der Zeitung lesen kann? „Ein 56-jähriger Opel wollte überholen“, berichtete kürzlich eine Lokalzeitung. Erschütternd auch diese Information: „Obersalzberg entlässt alle Führer.“ Oder: „Minister ist den Kampfradlern auf den Versen.“ Da werden Arme hochgekrempelt, Tote ertrinken und die Polizei findet eine Leiche – auf einem Friedhof. Was haben diese Stilblüten gemein? Sie stammen aus dem Lokaljournalismus. Gesammelt und zum Besten gegeben werden sie auf der Facebook-Seite „Perlen des Lokaljournalismus“. Erst vor einem Monat eingerichtet, zählt sie jetzt schon über 40.000 Abonnenten. Begründet wurde sie von Jörg Homering-Elsner, Lokaljournalist aus dem Münsterland. Die drehscheibe sprach mit ihm darüber, wie amüsant das Lokale manchmal sein kann.
Herr Homering-Elsner, was hat Sie dazu veranlasst, die Seite einzurichten: Häme oder die Liebe zum Lokalen?
Häme liegt mir fern. Ich bin selber Lokalredakteur - und das aus Überzeugung. Jeder macht in seinem Beruf mal Fehler – nur: Bei uns Journalisten stehen sie gleich in der Zeitung. So gibt es, wie vermutlich in jeder Redaktion, auch in unserer seit Jahren eine Pinnwand, an der journalistische Ausrutscher hängen – entweder aus der eigenen Zeitung oder aus denen der Kollegen. Einiges davon habe ich dann und wann auf meine private Facebook-Seite gestellt, bis ein Freund vorschlug, daraus doch eine eigene Facebook-Seite zu machen.
Wie würden Sie den Witz beschreiben, von dem diese Seite lebt? Was ist so lustig daran?
Lustig ist die unfreiwillige Komik. Für manches ist man in der Redaktion einfach betriebsblind geworden. Ein Beispiel: Als Lokalredakteur kennt man seit Jahren die Lepra-Gruppe, die immer fleißig strickt. Wenn die ihr Wirken einstellt, ist das eine Lokalnachricht wert. Und der Redakteur findet nichts seltsam an der Überschrift „Lepra-Gruppe hat sich aufgelöst“ - ohne die Zweideutigkeit darin zu erkennen. Ich kann gut nachvollziehen, wie das passiert. Und so sind wohl die meisten „Perlen“ entstanden.
Glauben Sie, dass gerade der Lokaljournalismus anfällig ist für Stilblüten?
Nein, da geht es den Kollegen der großen Zeitungen genauso - das jedenfalls zeigen die vielen Einsendungen, die ich mittlerweile bekomme. Anfälliger ist der Lokaljournalismus höchstens deshalb, weil weniger Kollegen abends über die Seiten schauen und Fehler finden.
Wie viele Hinweise erhalten Sie so im Schnitt in der Woche?
Mit zunehmender Zahl der Abonnenten ist auch die Zahl der Nachrichten gestiegen - pro Woche sind es rund 100.
Nach welchen Kriterien wählen Sie aus? Was würden Sie nicht posten?
Ich bekomme oft auch nur einfache Rechtschreibfehler. Die passieren leider häufig, sind aber nicht immer lustig. Es sollte vielmehr am besten typischer Lokaljournalismus sein etwa wie die Meldung über die wilde Müllbeseitigung in Zwettl. Da stand tatsächlich eine Mülltüte an einer Bushaltestelle, Polizei und Gemeindeverwaltung wurden eingeschaltet. Das sind Lokalnachrichten!
Haben Sie damit gerechnet, dass die Seite so viele Fans findet? Was haben Sie unternommen, damit die Seite einen so großen Zuspruch erhalten konnte?
Die Resonanz hat mich selber überrascht, unternommen habe ich dafür nichts. Eine Facebook-Seite hat man in fünf Minuten eingerichtet, alle Freude einladen, fertig. Das hat dann Kreise gezogen: Nach zwölf Stunden hatte die Seite 1.000 Likes, nach drei Tagen waren es 7.000, jetzt, nach einem Monat, sind es rund 40.000 Abonnenten.
Gab es auch schon einmal negative Reaktionen von Kollegen, die sich geärgert haben, dass sie erwähnt wurden? Oder können Lokaljournalisten über sich selbst lachen?
Ich glaube, wir können sehr gut über uns selber lachen. Das zeigen mir die Einsendungen vieler Kollegen, da findet mittlerweile oft ein netter Austausch statt. Bisher sind die Reaktionen durchweg positiv. Ich will ja auch niemanden an den Pranger stellen – deshalb schwärze ich auch die Namen der Autoren und nenne weitestgehend keine Quelle, auch wenn ich sie kenne. Es geht nicht darum, jemanden vorzuführen oder zu belehren, sondern zu zeigen: In den Redaktionen arbeiten auch nur Menschen. Und die machen manchmal lustige Fehler. Da schließe ich mich durchaus ein.
Welches war bisher Ihr liebstes Fundstück?
Es gibt viele tolle „Perlen“, etwa die Meldung: „Alkoholisiert und unter Drogeneinwirkung stehend haben Polizeibeamte einen 30-Jährigen angehalten“. Mein persönliches Lieblingsstück aber ist ein fast 100 Jahre alter Bericht über den Festumzug beim „Gauturnfest“ Münster im „Beiblatt zur Glocke, Beckumer Volkszeitung, Wiedenbrücker Zeitung“ vom 13. August 1919. Da wird – noch in Frakturschrift – Folgendes berichtet: „(…) Unter den Festgästen bemerkte man den kommandierenden General Frhrn. von Watter, den Oberpräsidenten Dr. Würmeling, Regierungspräsident a.D. von Bescher, Oberbürgermeister Dieckmann, Bürgermeister Sperlich, Oberpräsidialrat Kirchner, Oberregierungsrat von Reese, Major Schulz u. a., sowie die Vertreter der Lehrer- und Turnerschaft und andere Arschlöcher.“
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