„Wer sich engagiert, hat mehr vom Leben“
von Stefan Wirner
Herr Müntefering, ohne die vielen Menschen in Ehrenämtern sähe es duster aus an manchen Orten in unserem Land. Können Sie das bestätigen?
Manche sagen Ehrenamt, manche nennen es zivilgesellschaftliches Engagement. Immer geht es darum, dass Menschen freiwillig, mehr oder weniger oft und lange, ohne feste Anstellung und ohne festen Lohn, direkt oder in Formen organisierter Solidarität anderen Menschen oder der Gesellschaft nützlich sind. Auf 23 bis 30 Millionen gehen die Schätzungen zur Zahl der so aktiven Menschen in Deutschland. Eine stolze Zahl. Ohne sie wäre vieles, was uns im Leben wichtig ist, nicht garantiert, unsere Lebensqualität wäre massiv beschädigt.
Wie hören ja oft, unsere Gesellschaft würde auseinanderdriften. Sind nicht die vielen Ehrenämtler ein Beweis fürs Gegenteil?
Wandel ist immer, und damit verändern sich auch gesellschaftliche Zusammenhänge. Jede Generation muss ihre zeitgemäßen Wege finden. „Das war schon immer so, das war noch nie anders“, das ist bekanntlich kein gutes Argument. Was immer wichtig bleibt, damit wir menschlich leben können: die Liebe zum Leben und die Solidarität. Helfen und sich helfen lassen - das ist ein Grundmotiv, ohne das Miteinander nicht gelingen kann.
Aber droht nicht auch die Gefahr, dass der Staat sich aus bestimmten Bereichen – auch aus Kostengründen – zurückzieht, nach dem Motto: Das lösen wir übers Ehrenamt?
Der Staat ist für die Menschgen da, nicht umgekehrt. Und in Sachen Freiheit, Gerechtigkeit und im möglichen Rahmen auch Sicherheit, hat er Verantwortung. Solidarität zwischen Menschen kann der Staat nicht erzwingen, nur ermöglichen. Jede und jeder hat da Mitverantwortung, und das gilt für alle Generationen. Familie, Freundschaften. Nachbarschaften, Vereine, Hilfsorganisationen, Kirchengemeinden, Parteien - alles Gelegenheiten für Solidarität. Und vieles mehr. Ich nenne die Freiwillige Feuerwehr und die Hospiz- und Palliativdienste und die Bahnhofsmission und Trainerinnen und Trainer der Kinder- und Jugend-Sportgruppen. Und, und, und. Wer Selbstbestimmung will, muss auch selbst aktiv sein und nicht nur den Staat anblicken.
Wie kann man auch noch mehr junge Leute fürs Ehrenamt begeistern?
Ihnen Gelegenheit geben, mal zu schnuppern. Und? Beispiel geben. Das überzeugt.
Was halten Sie von den Gedankenspielerein aus der Politik, ein soziales Jahr für junge Leute auch wieder verpflichtend einzuführen?
Zwangsarbeit gibt es in Deutschland nicht. Der sogenannte Ersatzdienst erklärte sich aus der Wehrpflicht. Aber die gibt es nicht mehr, also auch den Ersatzdienst nicht. Der Bundes-Freiwilligen-Dienst könnte Rückwind gebrauchen, für alle Altersklassen. Ich will meine Sympathie dafür nicht verhehlen.
Was möchten Sie den Menschen sagen, die in Deutschland ehrenamtlich tätig sind?
Danke. Und glaubt mir: Es tut einem auch selbst gut. Man erlebt ein Stück Leben, das eigene Qualität hat. Wer sich engagiert, hat mehr vom Leben.
Interview: Stefan Wirner
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