„Wie wir schreiben, geht eine Richterin nichts an“

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Ein Jäger findet ein totes Reh und bindet es mit einem Seil an die Anhängerkupplung seines Autos. Der Fall wird bekannt, viele Menschen empören sich über den Mann. Der Nordkurier aus Neubrandenburg berichtet darüber unter der Überschrift „Rabauken-Jäger erhitzt die Gemüter“. Das aber löst eine Justizposse aus, in der es auch um die Grundlagen der Meinungs- und Pressefreiheit in Deutschland geht. Die drehscheibe sprach mit Lutz Schumacher, dem Geschäftsführer und Chefredakteur des Nordkuriers.

Ausschnitt aus dem Beitrag des Nordkuriers
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Herr Schumacher, wie kam es zum Rabauken-Skandal?

Wir haben im Sommer vergangenen Jahres davon erfahren, dass ein Jäger bzw. Jagdpächter ein totes Reh am Straßenrand gefunden hat und es – statt es fachgerecht zu entsorgen – mit einem Seil an die Anhängerkupplung gebunden und so über eine Bundesstraße geschleift hat. Dabei ist er beobachtet und fotografiert worden. Das Foto ging dann zunächst durch die sozialen Netzwerke, wurde aber im Laufe des Tages auch uns übermittelt. Wir haben die Geschichte am nächsten Tag veröffentlicht, und der Artikel löste sehr viele Reaktionen aus, es gab selten so viele Zuschriften. In den sozialen Netzwerken war die Aufregung groß, die Meinungen über diesen Herren waren vernichtend.

Sie haben dann die Berichterstattung intensiviert.

Ja, Kollege Thomas Krause hat einen weiteren Artikel geschrieben, in dem er sich mit den Reaktionen beschäftigt hat. Und dieser Artikel trug die Überschrift: „Rabauken-Jäger erhitzt die Gemüter“. Es gab viele Diskussionen, und wir haben etwa ein Dutzend Mal darüber berichtet. Der Jäger hat uns dann, wie es inzwischen nicht unüblich ist, zur Unterlassung aufgefordert, weil er sich identifiziert fühlte und mit der Wortwahl nicht einverstanden war. Dieses Unterlassungsbegehren haben wir abgelehnt. Dann hörten wir zunächst nichts mehr von ihm. Monate später hat er sich dann beim Presserat beschwert.

Was sagte der Presserat dazu?

Der Presserat hat uns eine Missbilligung ausgesprochen, und zwar für die Gesamtberichterstattung, nicht für den einzelnen Artikel. Die Kollegen waren der Meinung, dass der Mann identifizierbar sei, wenn man die gesamte Berichterstattung betrachte. Wir sahen das anders, und das haben wir dem Presserat auch mitgeteilt. Denn selbst wenn der Mann identifizierbar gewesen wäre, hätte man sich darüber streiten können, ob das nicht zulässig gewesen wäre, denn schließlich handelt es sich auch um einen Kommunalpolitiker. Aber wichtig ist: Der Presserat hat uns nicht gerügt, sondern missbilligt, und das nicht wegen der Wortwahl. Es ging in der Missbilligung gar nicht um diesen Artikel.

Dann erreichte die Geschichte die juristische Ebene?

Ja, denn der Mann hat schließlich Strafanzeige gegen Thomas Krause gestellt. Die zuständige Staatsanwaltschaft hat das Verfahren aber entweder gar nicht erst aufgenommen oder eingestellt. Daraufhin wurde sie von der Generalstaatsanwaltschaft in Rostock aufgefordert, es dennoch aufzunehmen. Die Staatsanwaltschaft tat das und hat es erneut eingestellt. Und wieder wurde sie angewiesen, es aufzunehmen. Beim dritten Mal wurde dann ein Strafbefehl über 1000 Euro gegen Herrn Krause erlassen. Das hat der Kollege nicht akzeptiert. Es ging wieder vor Gericht. Bis dahin habe ich das gar nicht so ernst genommen, ich dachte, das sei lächerlich, da guckt ein Richter nicht einmal eine Minute drauf.

Aber es lief ganz anders.

Ja, das Ganze wurde zu einer Sitzung für Presseverurteilung. Der Staatsanwalt sprach rund eine halbe Stunde über die schlimmen Entwicklungen in der Presse ganz im Allgemeinen, die Boulevardisierung, alles werde immer schlimmer, speziell der Nordkurier sei auch ganz fürchterlich. Diese grauenhafte Wortwahl müsste jetzt mal bestraft werden. Die Richterin hat das Ganze etwas sachlicher beurteilt, stieß aber im Grunde ins gleiche Horn. Wir hatten ja eine Reporterin im Gerichtssaal, und ihr zufolge meinte die Richterin, Krause hätte den Fall anders darstellen sollen, und zwar so wie in der Pressemitteilung der Jagdbehörde. Spätestens da ging mir dann die Hutschnur hoch, denn ich lasse mir von Richtern nicht vorschreiben, wie wir zu schreiben haben. Wie wir schreiben, geht eine Richterin nichts an. Seit Jahren kämpfe ich gegen den Verlautbarungsstil von Pressemitteilungen. Daraufhin habe ich einen Kommentar geschrieben, der an Deutlichkeit nichts vermissen ließ.

Folgebeitrag des Nordkuriers
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Sie sprachen dann vom „Rabauken-Richter“.

Ja, und dem Staatsanwalt warf ich vor, mit Schaum vor dem Mund über die Presse herzufallen.

Diese Worte haben Sie ja sicher bewusst gewählt.

Durchaus, weil das meine Meinung ist. Mich hat das geärgert, und außerdem geht es darum, dass wir uns als Journalisten so etwas nicht gefallen lassen dürfen.

Wie ist juristisch betrachtet momentan der Stand der Affäre?

Herr Krause hat gegen das Urteil Berufung eingelegt, das wird früher oder später beim Landgericht in Neubrandenburg landen. Wir übernehmen das ganze Verfahren und bezahlen im Notfall auch die Strafe, auch wenn ich nicht davon ausgehe, dass sie jemals bezahlt werden muss. Mein eigener Fall ist recht bizarr: Die Staatsanwaltschaft Stralsund und die Justizministerin haben verlauten lassen, es werde ein Ermittlungsverfahren gegen mich geführt, und zwar bei der Staatsanwaltschaft Stralsund. Allerdings hat mein Anwalt bis heute nicht das Ermittlungszeichen erhalten, um Akteneinsicht zu bekommen. Ich selbst habe bisher nichts schriftlich. Ich habe darüber bisher nur öffentliche Äußerungen vernommen. Auch eine spannende Sache, wie mit meinen Persönlichkeitsrechten umgegangen wird. Tatsache ist, dass der Staatsanwaltschaft, der an der Sitzung beteiligt war, und sein Vorgesetzter Strafanzeige gegen mich gestellt haben.

Sie sehen in dem Ganzen einen Angriff auf die Meinungs- und Pressefreiheit. Warum?

Ich bin von vielen gefragt worden: Ist das nicht eine lächerliche Angelegenheit? Ja, das ist es. Aber umso schlimmer ist es. Wenn bei so einer Banalität bereits Staatsanwälte und Richter gegen Journalisten vorgehen, was ist denn dann, wenn es wirklich einmal um etwas geht? Das ist ja eher eine Posse, aber die Haltung, die dahintersteht, dieser offensichtliche Glaube der Staatsanwaltschaft, sie könne die Presse zensieren, einzelne Artikel nach Wörtern durchgehen und von Formalbeleidigung schwadronieren – das kennt man aus Ländern wie Weißrussland oder der Türkei, wo die Pressefreiheit nicht so hochgehalten wird. Da muss entschlossen dagegengehalten werden – wehret den Anfängen! Denn wenn das einreißt, kann jeder Lügenpresse-Krakeeler demnächst Strafanzeige stellen, und er findet dabei noch willige Mitstreiter in der Staatsanwaltschaft.

Sehen Sie den Vorfall auch im Zusammenhang mit den wachsenden Ressentiments gegen die Presse?

Ja, definitiv. Unser Anwalt hatte im Nachgang der Verhandlung noch ein Zusammentreffen mit dem Staatsanwalt, dieser benutzte zwar nicht den Begriff „Lügenpresse“, aber der Duktus war ähnlich. Er regte sich erneut über den Nordkurier auf und meinte, er habe ihn abbestellt, so etwas würde er nicht lesen. Ich vermute also schon, dass sich da einige Leute in der Justiz ermuntert fühlen. Es gibt offenbar eine Strömung in der Generalstaatsanwaltschaft, die das so sieht.

Sind solche gerichtlichen Auseinandersetzungen häufiger geworden in letzter Zeit?

Das hat stark zugenommen. Das höre ich auch von vielen anderen Kollegen.

Woran liegt das? An der Presse?

Weil die Presse immer schlechter wird? Nein, das glaube ich nicht. Es gibt eine Klientel, die einen Generalverdacht gegen die Presse hegt, und bei der wächst die Bereitschaft, es „denen“ mal heimzuzahlen. Die Hauptursache aber liegt wohl eher in der zunehmenden Digitalisierung und in den sozialen Netzwerken. Artikel sind schnell teilbar, Kontakte werden schneller hergestellt, Tipps werden gegeben, es gibt Beschwerde-Formulare etc., die kursieren, Empörung putscht sich schneller hoch – da sehe ich die Ursache. Für Redaktionen ist das inzwischen ein Problem, denn diese Dinge brauchen viele Ressourcen auf. Jeder Fall muss sorgfältig bearbeitet werden, es kostet Geld, weil man einen Presserechtler beschäftigen muss, man muss alles genau dokumentieren und Stellungnahmen schreiben. Wenn das drei- bis viermal im Jahr passiert, könnte man sagen, was soll’s, aber inzwischen ist das ja fast wöchentlich der Fall. Das Wenigste geht vor Gericht, aber es macht eben sehr viel Arbeit.

Kann sich das auch auf das Verhalten Ihrer Redakteure auswirken?

Ich habe ein bisschen die Befürchtung, dass manch einer nun die Schere im Kopf ansetzt. Wenn es dazu führt, dass man sorgfältiger arbeitet, habe ich nichts dagegen. Mich ärgert jeder Fehler, den wir machen. Wir korrigieren sie und geben auch notfalls nach. Aber wenn man anfängt, sich zu überlegen, ob man ein Thema überhaupt bringt – oft gibt es ja schon Drohungen, kaum hat man angefangen zu recherchieren – dann ist das ein Problem. 

Wie sieht Ihre Gegenstrategie aus?

Die ist sehr harsch. Ich bin dafür, dagegenzuhalten und auch alle rechtlichen Mittel auszuschöpfen. Unsere Redakteure haben Rechtsschutz, das wissen sie. Sie wissen, dass sie sorgfältig arbeiten müssen, aber sie sollen nicht die Schere ansetzen.

Sie haben sich noch eine andere Reaktion auf diese Geschichte ausgedacht und eine Panoramaseite zum Skandal veröffentlicht, auf der viele Chefredakteure Ihnen ihre Solidarität bekundet haben – Wolfram Kiwit von den Ruhr Nachrichten, Michael Bröcker von der Rheinischen Post, Paul-Josef Raue von der Thüringer Allgemeinen und viele andere, auch der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger und der Verband Deutscher Lokalzeitungen. Wie kam es zu dieser Seite? Haben Sie eine Rundfrage gestartet?

Ja, das haben wir gemacht, es gingen aber auch viele Solidaritätsbekundungen von selbst ein. Darüber habe ich mich sehr gefreut. Schlimm wäre es, wenn man sich damit alleine fühlt und an sich selbst zu zweifeln beginnt. Das ist eine Unverschämtheit gewesen, und das muss auch zum Ausdruck gebracht werden. Ich finde es auch wichtig, es den Lesern zu bekunden. Auch von dieser Seite gab es viel Zustimmung, es gibt aber auch einen gewissen Kern, der meint, man müsse sich benehmen, gerade der Obrigkeit gegenüber. Diesen Lesern konnte man zeigen, dass es hier nicht nur um den Nordkurier geht und dass das auch andere Chefredakteure so sehen.  Außerdem waren diese Solidaritätsbekundungen auch ein Zeichen an die Landespolitik. Es war gut, dass die beiden Kollegen aus dem Land – die Schweriner Zeitung und die Ostsee-Zeitung – dabei waren. Viele Landespolitiker schütteln ja mit dem Kopf, wenn man mit ihnen darüber spricht. Es scheint sich aber ein Ressentiment in der Generalstaatsanwaltschaft und im Justizministerium festgesetzt zu haben. Justizministerin Uta-Maria Kuder hat es bis heute nicht übers Herz gebracht, wenigstens einmal pro forma zu sagen, dass Meinungs- und Pressefreiheit auch wichtig sind. In ihrer Stellungnahme meinte sie nur, verfolgbare Straftaten müssten wegen des Legalitätsprinzips auch verfolgt werden. Das ist alles, was ihr dazu einfällt. Der Fall ist eine Posse, auch eine Justizposse, aber der Kern ist ernst, und dahinter steht eine gesellschaftliche Minderheit, die ihre Ressentiments immer lauter äußert und uns das Leben schwer macht.

Lutz Schumacher

Kontakt

Lutz Schumacher
Geschäftsführer und Chefredakteur
Tel.: 0395 – 457 51 00
E-Mail: l.schumacher@nordkurier.de

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