„Wir beginnen mit dem Leser“
von Sascha Lübbe
Manuel Conrad ist Mitbegründer und Geschäftsführer von Merkurist.de.
Die lokale Nachrichtenplattform Merkurist aus Mainz hat sich Lesernähe und Interaktivität auf die Fahnen geschrieben. Leser können Themen vorschlagen und über deren Relevanz abstimmen. Ein Team von freien Journalisten arbeitet die wichtigsten Geschichten dann aus. Wie sich das Projekt finanziert, welche Rolle technologische Entwicklungen dabei spielen und was diese für die Werbekunden bedeuten, erklärt Firmengründer Manuel Conrad im Interview
Herr Conrad, Sie sagen, Sie wollen dem Lokaljournalismus mit Ihrer Plattform Merkurist ein neues Gesicht geben. Wie genau sieht das aus? Was unterscheidet Ihre Seite von anderen lokaljournalistischen Angeboten?
Das sind vor allem zwei wesentliche Unterschiede. Auf den ersten Blick ist der größte Unterschied sicherlich die Interaktion mit den Lesern. Bei den meisten Medien stehen die Leser ja am Ende der Nachrichtenkette. Erst kommen die Chefredakteure, dann die Redakteure und erst zum Schluss die Leser, die einen Artikel entweder lesen oder nicht lesen und gegebenenfalls noch kommentieren. Mit Merkurist stellen wir den Prozess quasi auf den Kopf. Und beginnen mit dem Leser.
Was heißt das konkret?
Der Leser kann auf unserer Seite Themen vorschlagen. Das sind die sogenannten Snips. Diese werden dann von uns gelesen und geprüft. Um freigegeben zu werden, muss ein Thema lokal sein, es darf keine Werbung enthalten und niemanden diskriminieren. Ob wir selbst das Thema für relevant halten oder nicht, spielt dabei eine untergeordnete Rolle.
Was passiert mit den Themenvorschlägen?
Im nächsten Schritt schauen wir: Ist das Thema auch für andere Leser relevant? Dazu gibt es bei jedem Snip einen „Oha!“-Button. Wenn der Leser diesen drückt, signalisiert er uns, dass ihn das Thema interessiert. Je mehr Leute den „Oha!“-Button drücken, je mehr Zeit sie auf einem Snip verbringen und je intensiver sie ein Thema diskutieren, desto wahrscheinlicher ist es, dass daraus ein journalistischer Artikel entsteht. Erreichen Snips einen hohen Score, setzen wir einen professionellen Journalisten darauf an. Mit unserem Snip-Algorithmus versuchen wir also dort Journalismus zu produzieren, wo er genügend Menschen interessiert.
Mit wem arbeiten Sie zusammen?
Derzeit haben wir einem Pool von 35 freien Journalisten. Darunter Profis, aber auch Journalistik-Studenten, die erste Erfahrungen sammeln wollen.
Welche Themen waren die relevantesten des vergangenen Jahres?
Am besten funktionieren auch bei uns in der Regel Blaulicht-Themen. Unter den zehn am häufigsten gelesenen Artikeln des vergangenen Jahres waren unter anderem die Meldung, dass die Polizei das Staatstheater Mainz angezeigt hat und ein Raubüberfall am Laubenheimer Bahnhof. Daneben gibt es bei uns aber auch Politik, Wirtschaft und Kulturthemen, über die wir ausführlich berichten, wenn sie eine kritische Masse an Lesern interessieren.
Wie gehen Sie mit den gewonnenen Erkenntnissen um?
Das ist der zweite große Unterschied zu herkömmlichen Medien: unsere technologischen Entwicklungen. Wir nutzen eine selbst entwickelte Tracking-Technologie mit der wir genau messen können, was der Leser auf unserer Seite sieht und liest. Wir messen zum Beispiel, welchen Lesern wir welche Artikel angeboten haben und wie deren Resonanz darauf war. Ein von uns entwickelter Algorithmus ermittelt aus diesen Daten die Relevanz der einzelnen Texte in Echtzeit und präsentiert sie in der dementsprechenden Rangfolge automatisiert auf unserer Nachrichtenübersicht. Zudem nutzen wir die gesammelten Daten auch für die Personalisierung. Wenn wir einem Leser 20 Artikel zum Thema Sport gezeigt haben und dieser 19 Artikel davon gelesen hat, gehen wir davon aus, dass ihn das Thema interessiert und werden ihm zukünftig Sportartikel prominenter auf seiner eigenen Nachrichtenübersicht anbieten. Wir messen mit unserer Technologie auch, wieviel Prozent von einem Artikel tatsächlich gelesen werden. Das ist für uns ein entscheidendes Qualitätskriterium, nach dem wir unsere Journalisten bewerten. Je weiter ein Artikel im Durchschnitt gelesen wird, umso besser ist er aus unserer Sicht.
Merkurist ist für Leser kostenfrei. Wie finanziert sich die Seite?
Wir glauben nicht an die Paywall, zumindest nicht in der nächsten Zeit. Wir sprechen vor allem lokale Unternehmen an und versuchen, sie davon zu überzeugen, bei uns Banner und gesponserte Artikel zu schalten. Auch dabei hilft uns die Technologie. Wir können sehen, wann und wie lange welche Werbung gesehen wird. Danach berechnen wir den Preis. Kunden zahlen nur, wenn ihre Werbung auch wirklich gesehen bzw. gelesen wird.
Ihr Projekt ging im Juli 2015 online. Wie viel Vorlaufzeit haben Sie benötigt?
Die Grundidee hatten wir vor etwa 2 Jahren. Vor etwas mehr als einem Jahr haben wir dann entschieden, dass sie sich am besten im Lokalen umsetzen lässt. Und das aus mehreren Gründen: Lokale Medien sind dicht am Leser, es gibt – insbesondere im Digitalbereich – wenig Konkurrenz, der lokale Werbemarkt ist nahbarer. Das heißt, es ist einfacher, lokale Werbekunden zu gewinnen als nationale. Angefangen haben wir zu dritt. Inzwischen sind wir ein Team aus 10 festen Mitarbeitern und mehreren Studenten. Unter den Mitarbeitern sind Redakteure, Leute aus dem Vertrieb, der IT-Entwicklung und dem Management.
Wie wurde das Angebot bisher angenommen?
Die bisherigen Ergebnisse sind vielversprechend. Wir hatten allein im Dezember 180.000 Visits auf der Seite und haben bisher einen Umsatz von 40.000 Euro erwirtschaftet. Das reicht noch nicht, um die Kosten zu decken, aber das haben wir für diesen Zeitraum auch nicht erwartet.
Wie soll es in Zukunft weitergehen?
Bisher gibt es uns nur im Raum Mainz. Wir wollen aber expandieren und im Idealfall in jeder größeren deutschen Stadt erscheinen. Finanziell haben wir uns vorgenommen, in jeder Stadt, in der wir erscheinen, nach etwa zwei Jahren den Break Even zu schaffen – also den Punkt zu erreichen, an dem Erlös und Kosten des Projekts gleich hoch sind. Wir sind da auf einem guten Weg.
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