„Wir fordern einen Kulturwandel in den Redaktionen“
von Stefan Wirner
Andreas Pauwelen ist Unternehmensberater und Mitinhaber von Lenzer & Partner.
Ein Unternehmensberater und ein gestandener Lokaljournalist machen sich gemeinsam Gedanken über die Zukunft des Journalismus. Heraus kommen dabei zehn Gebote, die aufrütteln sollen. Aber wie weit tragen die Ideen von Andreas Pauwelen und Robert Domes? Wir haben nachgefragt.
Herr Pauwelen, Sie haben kürzlich im Mediummagazin zusammen mit Robert Domes zehn Gebote für den Wandel in der Medienbranche aufgestellt. Das sind nicht die ersten Thesen dieser Art. Wenn man ein bisschen im Internet recherchiert, findet man immer wieder ähnliche Beiträge. Was ist das Neue an Ihren Vorschlägen?
Das Neue ist zunächst einmal die Zusammenarbeit: Robert Domes ist ein erfahrener Lokaljournalist, und ich behandele das Thema Wandel und Vertrauen in der Industrie. Der zweite Punkt ist der, dass wir einen Kulturwandel in den Redaktionen fordern. Also kein weiteres Herumdoktern an Symptomen, sondern ein Nachdenken darüber, was an Strukturen beibehalten werden kann und was über Bord zu werfen ist.
Zehn Gebote für Journalisten
- Vergiss deine Größe – und besinne dich auf deine Werte!
- Liebe dein Publikum – und gehe dahin, wo es sich aufhält!
- Pflege deine Einzigartigkeit –mit Inhalt und Qualität!
- Gehe mit Fehlern offen um – am besten du machst keine!
- Verzichte auf deine Haltung – aber mach deine Meinung klar!
- Lass die Zweifel zu – die eigenen und die fremden!
- Nutze den Widerstand – und damit die Ideen aller Mitarbeiter!
- Such die richtigen Leute – und bilde sie sinnvoll weiter!
- Vertraue auf deine Stärken – und positioniere dich individuell!
- Reiß die Wände ein – und zwar in allen Abteilungen!
Sie sagen: „In der deutschen Medienbranche scheinen die Beharrungskräfte stärker als die Lust an der Innovation“. Aber stimmt das denn? Ist es nicht vielmehr so, dass vielerorts Aufbruchsstimmung herrscht oder zumindest beschworen wird?
Sie wird beschworen, aber was wird denn am Ende tatsächlich umgesetzt? An den kleinen Stellschrauben wird gedreht, hier wird eine Bezahlschranke eingeführt, da gibt es ein zusätzliches Online-Angebot. Aber im Grunde wird weitergemacht wie bisher, Veränderungen gibt es nur in Fragen der Technik. Das ist unserer Meinung nach zu wenig.
Ihre zweite These besagt: Liebe Dein Publikum und gehe dahin, wo es sich aufhält. Aber machen das nicht alle längst? Es gibt doch kaum mehr eine Tageszeitung, die zum Beispiel nicht auf Facebook wäre und dort ihre Leser und junge Leute anspricht. Jetzt ist der neueste Hype Snapchat, um den sich viele kümmern wollen.
Wenn wir von Präsenz reden, dann meinen wir echte und authentische Präsenz. Wie sehen denn diese Auftritte auf Facebook aus? Da werden oft nur Nachrichten in die Welt hinausgeblasen. Dabei müsste die echte Präsenz auf Facebook eine dialogische sein. Facebook ist als Dialogmedium gedacht. Und da wird es, wenn man sich diese Auftritte ansieht, schon dünner. Zum Teil ist das auch verständlich. Denn wenn Sie auf Facebook einen Dialog führen wollen, dann kostet das einfach sehr viel Zeit. Es hat aber keinen Sinn, noch einmal ein Best-of der eigenen Artikel auf Facebook zu liefern. Man muss das Medium so nutzen, wie es gedacht ist und mit den Usern ins Gespräch kommen.
Als Beispiele für Unternehmen, die den Wandel geschafft haben, führen Sie große Wirtschaftsunternehmen an: BMW, Apple, Google, McDonalds, Preussag. Kann man das wirklich mit regionalen oder lokalen Zeitungshäusern vergleichen?
Es geht dabei gar nicht so sehr um die finanzielle Kraft, die dahinter steckt. Wichtig ist der Wille zur Veränderung. Und manche Unternehmen haben sich eben überlegt: Was macht uns einzigartig? Zum Beispiel unsere Ideen, die Intelligenz unserer Mitarbeiter. Könnten wir damit nicht auch ganz etwas anderes tun als bisher? Nehmen Sie Mannesmann. Früher ein Stahlproduzent, später einer der größten Telekommunikationsanbieter in ganz Europa. Das nenne ich Lust an Innovation. Es geht nicht so sehr um einen Kurswechsel mit riesigem finanziellen Aufwand. Wichtig ist der Schritt davor: sich zu überlegen, was ein Unternehmen ausmacht. In Bezug auf die Verlagshäuser kann das heißen: Was hat uns in den vergangenen 100 Jahren ausgezeichnet? Was können nur wir bieten und kein anderer? Um auf dieser Basis einen grundlegenden Wandel einzuleiten, braucht man nicht immer Unmengen an Geld. Im Gegenteil, da ist sehr viel mehr die kreative Kraft gefragt, und wenn wir irgendwo Kreativität vorfinden, dann doch in den Redaktionen. Und zwar gepaart mit lokaler und regionaler Kompetenz. Wenn jemand weiß, was in der Region gut ankommt oder Bedeutung hat, dann sind es doch die Lokaljournalisten.
Gehen die Verleger zu leichtfertig über dieses Knowhow hinweg?
Nach unserer Einschätzung verschenken die Verleger einen großen Teil dieser lokalen und regionalen Kompetenz. Viele versuchen schematisch oder aufgrund von Vorbildern aus anderen Verlagshäusern bestimmte Pläne umzusetzen. Aber das geht nicht gut. Dinge, die in Bayern funktionieren, müssen in Friesland noch lange nicht funktionieren. Das Gespür für die eigene Kundschaft, die Empathie geht dabei verloren.
Also weist die ganze Tendenz hin zu Newsrooms und technologischen Innovationen in die falsche Richtung? Müsste man mehr auf die Leser zugehen, hin zum Lokalen?
Auf jeden Fall. Das geht völlig in die falsche Richtung. Technik ist immer nur ein Hilfsmittel. Wenn ich neue Technik einkaufe, habe ich dadurch noch keine Garantie für ein besseres Produkt. Die Zielgruppe erreiche ich nur dann, wenn ich auf die Empathie meiner Mitarbeiter setze, derjenigen, die vor Ort sind.
Sie weisen ja auch daraufhin, dass angesichts der vielen Veränderungen, die ständig eingefordert werden, auch Beharrungskräfte, ja Widerstände seitens der Mitarbeiter erwachen. Was würde Sie einem Verleger raten, der vielleicht spürt, dass etwas nicht so schnell geht, wie er es sich vorstellt?
Wenn es nicht so schnell geht, wie er es sich vorstellt, dann hat der Verleger das falsche Tempo angeschlagen. Wenn ein Verleger merkt, dass seine Leute mit dem Tempo nicht mitkommen, die ja auch gerade in den Lokalredaktionen oft etwas älter sind, dann muss er das Tempo verlangsamen und versuchen, alle mitzunehmen. Es wird ja immer wieder vieles ausprobiert, immer wieder etwas anderes, ohne dass man sich vorher strukturell Gedanken darüber macht. Das kann bei den Mitarbeitern schnell zu Frustration oder Resignation führen. Damit aber verliert der Verleger das Knowhow dieser Mitarbeiter – ihr Wissen über das Verbreitungsgebiet, über die Leser usw. Diesen Verlust kann er nicht kompensieren, indem er einen 22-jährigen Volontär einstellt.
Aber der Verleger schaut natürlich auf die Anzeigenverluste, den Auflagenrückgang, und er sagt sich: Ich muss etwas tun.
Er muss sicherlich etwas tun, aber es gibt Dinge, die wir für absolut falsch halten. Da wären zum Beispiel das Streichen von Stellen, das Schließen von Redaktionen, das Dazukaufen von Content. Das halten wir für absoluten Quatsch. Damit verzichtet man exakt auf das, was einen einzigartig macht. Man leitet eine Abwärtsspirale ein: Man verliert Anzeigenkunden, streicht als Reaktion Stellen, dadurch wird das Produkt schlechter, und man verliert weiter Anzeigenkunden. Es gibt zum Glück Verleger, die diesen Weg nicht gehen, weil sie wissen: Gesund sparen geht nicht. Der Wunsch der Menschen nach Information, Einordnung und Kommentierung ist ungebrochen. Sie suchen nicht nur im Großen, auch im Kleinen nach Orientierungshilfen. Als kluger Verleger müsste man genau auf diese Dinge aufbauen. Also nicht weniger Redakteure, sondern andere Redakteure beschäftigen.
Das wäre die Arbeit an der journalistischen Qualität. Sie schlagen aber auch etwas anderes vor. Sie meinen, an den neu geschaffenen Newsdesks müssten auch Vertriebler und Anzeigenmitarbeiter sitzen. Warum?
Diese viel beschworene Trennung von Anzeigenabteilung und Redaktion ist ja eine Illusion. Was da oft als Wirtschaftsporträt in der Zeitung zu lesen ist, ist ja in vielen Fällen nur eine verbrämte Sonderwerbung. Da sagen wir: Warum berücksichtigt man nicht das Knowhow der Leute, die an den Schlüsselstellen sitzen, die das Verbreitungsgebiet und die Sorgen der Unternehmer kennen? Ein Beispiel: Es gibt im Verbreitungsgebiet ein mittelständisches Unternehmen. Es hat immer Anzeigen geschaltet, aber dieses Monat plötzlich nicht. Da könnte ein spannendes Wirtschaftsthema dahinterstecken. Aber diese Information kommt in der Redaktion gar nicht an, wenn ich die Anzeigenabteilung außen vor lasse.
Welche konkreten Tipps hätten Sie für den typischen Lokaljournalisten, der sich einerseits mit den Ängsten seines Verlegers, andererseits mit dem Vertrauensverlust, den er seitens der Leser spürt, herumschlagen muss?
Hinter dem Vertrauensverlust steckt immer ein Kommunikationsproblem. Der Journalist muss versuchen, wieder mit seinen Lesern in Kontakt zu kommen. Er darf sie nicht von oben herab behandeln. Nach dem Motto: Ich kann euch die Welt erklären. Wir brauchen keine Welterklärer mehr, das ist auch ein Effekt der Digitalisierung. Wir brauchen aber Menschen, die Orientierungshilfen geben. Wenn ich es schaffe, wieder geachtet und angesehen zu sein, wenn ich wieder Geschichten anbiete, die die Menschen in der Region betreffen, wenn der Leser merkt, dass die Geschichten etwas mit ihm zu tun haben, dass sie Ich-Relevanz haben, dann bin ich einen entscheidenden Schritt weiter gekommen. Wenn man Vertrauen schafft und sich dadurch die Auflagenzahlen konsolidieren, dann wird auch der Verleger erkennen, dass man auf dem richtigen Weg ist.
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