„Wir müssen berichten, was in unserer Gesellschaft vorgeht“
von drehscheibe-Redaktion
Radikale Salafisten, die im Netz oder auch in Fußgängerzonen ihre Propaganda verbreiten und junge Leute dazu bewegen, für den Islamischen Staat in Syrien und im Irak zu kämpfen – das ist auch ein Thema für Lokalzeitungen. Volker Siefert, freier Reporter und Redakteur des Hessischen Rundfunks, berichtet seit Jahren aus dem radikal-salafistischen Milieu. Mit der drehscheibe sprach er über unterschiedliche Recherchezugänge und darüber, wie man als Reporter in heiklen Situationen reagiert.
Herr Siefert, können Sie uns einen kurzen Überblick geben, wo in Deutschland radikal-salafistische Gruppen besonders aktiv sind?
Man kann schon davon ausgehen, dass es eine Massierung von radikal-salafistischen Gruppen in Ballungsräumen gibt, speziell die mit einem hohen Migrationsanteil, aber eben auch in absolut ländlichen, beschaulichen Gebieten. Wir hatten den Fall des Allgäuers Erhan A., der dann auch medial durch sein Interview mit dem SZ-Magazin bundesweit für Schlagzeilen gesorgt hat. In anderen Worten: Wir haben es mit einem gesamtgesellschaftlichen, auch regional übergreifenden Problem zu tun.
Weil Sie Erhan A. angesprochen haben: Es wurde zum Teil kritisiert, dass man einem 22-Jährigen, der sich der Terrormiliz IS anschließen wollte, so eine Bühne gab.
Das ist immer das zweischneidige Schwert, da man für solche Randgruppenphänomene im Extremismus im ersten Moment auch Aufmerksamkeit erzeugt. Natürlich muss man das abwägen. Aber ich glaube, dass seit den Ereignissen in Syrien und im Irak das Thema „Entflammbarkeit junger Menschen für den Dschihad durch soziale Netzwerke“ medial nicht mehr steuerbar ist. Und wir müssen darüber berichten, was in unserer Gesellschaft vorgeht.
Sie berichten seit einigen Jahren für den Hessischen Rundfunk über radikal-salafistische Gruppen. Wie gehen Sie bei Ihren Recherchen vor?
Meine Hauptquelle sind die sozialen Medien. Facebook vor allem, aber auch Twitter, wo sich die Szene auf Deutsch unterhält – in einem eigenen Jargon zwar, aber der ist durchaus nachvollziehbar. Ein guter Recherchestart, um sich einen Überblick zu verschaffen, was vor Ort geplant ist, sind auch die lokalen Facebookseiten von „Lies!“ oder deren Webseite. Die Koranverteilaktion „Lies!“ ist in Deutschland das größte Netzwerk im Bereich der Missionierung . Es geht bei der Aktion aber nicht um die friedliche Verbreitung von Religion. Man kann an einigen Biografien nachlesen, dass „Lies!“ in der Vergangenheit für deutsche Männer das Eingangstor zum militanten Dschihadismus war. Die Frankfurter Polizei hat im letzten Jahr nachgezählt – um die 20 Männer aus dem Netzwerk gingen nach Syrien.
Und abgesehen von den Recherchen im Netz?
Wenn man Kontakte zu den lokalen Schulen hat, sollte man die nutzen. Man kann davon ausgehen, dass in den Ballungszentren an jeder weiterführenden Schule einzelne Menschen sind, die sich in dem ideologischen Umfeld solcher Gruppen bewegen. Das Problem an den Schulen ist, dass sie nichts öffentlich sagen. Wir bekommen zwar immer wieder Hinweise aus der Lehrerschaft und aus Bildungseinrichtungen, aber an der Schwelle zum Interview verstummen alle Quellen, weil die natürlich Angst vor einem Imageverlust haben. Ähnlich sieht es bei sozialen Einrichtungen aus.
Vor kurzen haben Sie über die Radikalisierung sechs junger Männer berichtet, die in einem betreuten Wohnheim der Caritas lebten. Mindestens einer der Männer reiste nach Syrien aus. Ein gewisser „Stefan“ lebte mit den Männern damals zusammen und sprach mit Ihnen. Wie kamen Sie an „Stefan“ heran?
Ohne jetzt Namen zu nennen, aber es gibt Leute, die sich in dieser Gesellschaft Sorgen über die Radikalisierung im Bereich Salafismus machen. Wir haben in Frankfurt einen Kreis von demokratisch gesinnten Menschen, die sich neben den „Lies!“-Stand stellen und dort mit Plakaten auf die Gräueltaten des IS aufmerksam machen. Man muss das mit dem „demokratisch gesinnt“ dazusagen, weil es natürlich auch eine Islamhasser-Szene gibt, die sich ohne Wissen, ohne Sachverstand, ohne Ortskenntnisse, verbal äußert. Die Leute kann man natürlich als Journalist knicken, aber die anderen, die lohnt es aufzuspüren. Die sind auch untereinander vernetzt und sehen sich als eine Art Watchdog-Szene.
Können Sie Namen nennen?
Das müsste ich absprechen, die sind auch nicht offen unterwegs, auch ihre Facebookgruppen sind oft geschlossen. Aber wenn man zu ihnen ein Vertrauensverhältnis hat, bekommt man auch Hinweise. Und in dem Fall hat sich dieser junge Mann aus der Jugendhilfe an einen der Akteure gewandt und gesagt, er wäre bereit, mit Journalisten zu sprechen. Hier war also ein Vermittler dazwischen. Aber es kommen auch Hinweise von Angehörigen. Wenn die aber mit Journalisten reden wollen, wird ihnen jeder Anwalt abraten. Denn wenn der Sohn, Neffe oder Cousin in eine Straftat nach §89a verwickelt ist, können sie davon ausgehen, dass jede Kommunikation mitgehört, mitgelesen wird.
Wie verläuft Ihre Zusammenarbeit mit dem Verfassungsschutz und der Polizei?
Ich nütze natürlich alle Quellen, die sich mir bieten. Umgekehrt darf man sich als Journalist natürlich nicht instrumentalisieren lassen – aber das ist ja in jeder Recherche so.
Stichwort Instrumentalisierung: Ihre Artikel werden doch bestimmt von Islamhassern für deren Zwecke benutzt.
Am Anfang war das für mich schon ein Problem, wenn ich gesehen habe, dass die Artikel mit Seiten verlinkt werden, die mir nicht genehm sind und die für Demokraten auch nicht die erste Adresse sind. Aber mein Dafürhalten ist ja, dass ich die allgemeine Öffentlichkeit informieren will. Gerade am Anfang meiner Recherchen, vor vier, fünf Jahren war das noch eher ein Thema von diesen Political Incorrect-Seiten als vom Mainstream. Gerade dann aber fühle ich mich als demokratisch orientierter Journalist gehalten, das Thema über die Aufklärung von Fakten ebenfalls zu besetzen. Es ist meine Überzeugung, den extremistischen Gruppen dieses Thema nicht alleine zu überlassen.
Wurden Sie schon einmal wegen Ihrer Arbeit bedroht?
Die Szene lebt ja quasi von dem „öffentlichen Wahrgenommenwerden“, besonders wenn sie im Fernsehen und im Internet vorkommen. Nachdem ich das letzte Mal über ein Treffen von IS-nahen Gruppen mit Pierre Vogel in Dietzenbach berichtet habe, hat mich der „Anführer“ eines „Lies!“-Standes in Frankfurt mit dem Namen angesprochen. Daraufhin hat mich seine kleine Schar von Leuten umzingelt und mich mit meiner Arbeit konfrontiert. Das ist mir prinzipiell nicht unangenehm, aber die physische Nähe war bewusst so gewählt, dass sie bedrohlich und provozierend wirkt. Die Jungs sind sehr clever, die wissen wie Menschen auf Stress reagieren und haben nur darauf gewartet, dass ich irgendwie aus der Rolle falle.
Wie haben Sie reagiert?
Ich habe sachlich mit ihnen diskutiert. Und ich hatte die Möglichkeit nach Enis Bruder zu fragen. Enis ist mit 16 nach vier Wochen in Syrien gestorben, und ich wusste, dass sich sein Bruder immer wieder mal an diesem Stand aufhält. Daraufhin hat der Anführer irritiert reagiert und das Gespräch relativ schnell beendet. Man merkt also, dass man das Gespräch mit Fachwissen auch ein bisschen leiten kann.
Haben Sie das Gefühl, dass in den Redaktionen genug Fachwissen in diesem Bereich vorhanden ist?
Spätestens nach den Ausreisewellen – mit Dinslaken als trauriges Beispiel, wo 25 junge Menschen ausgereist sind – haben die Redaktionen aber auch die Politiker verstanden, dass das kein Randphänomen ist. Man hat also kapiert, dass das Problem zu uns gehört und es nicht mehr „integrationsfeindlich“ ist, wenn man solche Probleme auch benennt. Oberflächliches Wissen kann man sich sicher schnell raufschaffen, aber Expertenwissen – auch über die lokalen Zustände – wer ist der Emir, wo ist die Moschee, wo sind die Prediger, die eventuell gefährlich sind, das erfordert viel Arbeit. Oft auch unbezahlte Arbeit.
Die Netzwerke solcher Gruppen enden ja weder an der Ortstafel noch an der Staatsgrenze. Der Prediger Tarik ibn Ali der radikal-islamischen belgischen Bewegung „Sharia4Belgium“ war auch in einer Moschee in Dietzenbach zu Gast. Wie gut sind Sie mit anderen Journalisten vernetzt?
Ich selbst bin im Netzwerk Recherche aktiv und sehr daran interessiert mit anderen Journalisten – auch medienübergreifend – zusammenzuarbeiten. Im Moment ist es leider noch so, dass viel Wissen an der Stadtgrenze verloren geht. Dabei ist gerade die Überregionalität dieser Netzwerke bezeichnend. Die „Lies!“-Kampagne, die in Deutschland ihre Wurzeln hat, exportiert Propaganda in den ganzen deutschsprachigen Raum.
Interview: Marion Bacher
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