„Wir sind immer Faktenchecker gewesen“
von Stefan Wirner
70 Jahre alt wurde die dpa am 18. August. Viele Veränderungen und Modernisierungen hat die Agentur, die 1949 aus der Deutschen Nachrichtenagentur (Dena), dem Deutschen Pressedienst und der Süddeutschen Nachrichtenagentur (Südena) hervorgegangen ist, inzwischen erfahren. Mit Chefredakteur Sven Gösmann sprachen wir über die gegenwärtigen und die zukünftigen Herausforderungen für die Agentur.
Herr Gösmann, 70 Jahre dpa, herzlichen Glückwunsch auch von uns. Aber gleich zur Gegenwart: Vor welchen Herausforderungen steht die dpa heute?
Vor den Herausforderungen, vor denen alle Medien und viele Teile unserer Gesellschaft stehen. Es gibt neue Formen der Kommunikation. Die Rolle des Gatekeepers, des Erstüberbringers von Nachrichten, ist den Nachrichtenagenturen seit einer geraumen Reihe von Jahren abhandengekommen. Auch die Form, wie Medien genutzt werden, die Plattformen, auf denen sie angeboten werden, haben sich stark verändert. Wir nutzen die sozialen Medien und erleben den Siegeszug des Smartphones. Daraus folgt die Frage: Wenn immer mehr Menschen lernen, Nachrichten visuell aufzunehmen, welche Ausprägung muss der Text dann in Zukunft haben? Und nicht zuletzt erleben wir die wachsende Kluft, die zwischen dem berichtenden Journalismus und den Empfängerinnen und Empfängern entsteht. Da gibt es zum Teil eine Entfremdung.
Sieht sich auch die dpa dem Vorwurf ausgesetzt, Teil der „Lügenpresse“ zu sein? Werden Sie so wahrgenommen?
Wir hatten zu unserer 70-Jahr-Feier die Schauspielerin Claudia Michelsen zu Gast, die einige der denkwürdigsten Beschimpfungen, die in den vergangenen Jahren an die dpa gegangen sind, vorgelesen hat. Daraus spricht ein Hass, der jegliches Maß verloren hat. Er richtet sich gegen die dpa als solche – gegen die „Zentralredaktion der Lügenpresse“ – und er entzündet sich an den Themen, die in der gesamten Gesellschaft und erst recht in den sozialen Medien hasserfüllt und mit feuchter Aussprache diskutiert werden, nämlich an allen Fragen rund um Migration und innere Sicherheit. Wann immer die dpa bei diesen Themen auch nur der Überbringer einer Nachricht ist, stehen wir im Fadenkreuz.
Viele Medien reagieren auf solche Vorwürfe, indem sie verstärkt sogenannte Faktenchecks machen. Was tun Sie heute, um Ihre Nachrichten noch verlässlicher und faktengetreuer zu machen?
Es war schon immer unser Grundsatz: Be first, but first be right. Wir sind immer Faktenchecker gewesen. Und wir machen in diesem Bereich heute sehr viel für unterschiedlichste Kunden: Wir entwickeln Faktenchecks für den klassischen Medienkunden bis hin zu Facebook. Ich habe nur den Verdacht, dass vielerorts mit den Fakten so verfahren wird wie im Weißen Haus: Sie werden nur zur Kenntnis genommen, wenn sie einem in den Kram passen.
Sie versorgen alle deutschen Tageszeitungen mit Nachrichten. Besteht da nicht die Gefahr einer gewissen Monopolisierung der Nachricht?
Es gibt ja noch andere Nachrichtenagenturen, denen ich auch allen alles Gute wünsche. Einige darunter sind älter als wir, andere haben eine spezielle Nische besetzt, und daneben gibt es noch jede Menge anderer Arten von Nachrichtenquellen. Eine Monokultur gibt es da sicherlich nicht, eher einen gesunden Pluralismus. Und auch bei der dpa bemühen wir uns immer, die ganze Bandbreite eines Themas darzustellen. Da hat Deutschland einen Vorteil gegenüber weiten Teilen der Welt. Vielerorts wird die Meinungsfreiheit eingeschränkt, von Deutschland wird das zwar auch behauptet, es ist aber nicht der Fall.
Welche Angebote unterbreiten Sie im lokalen Bereich? Bieten Sie auch explizit lokale Nachrichten an?
Die lokale Nachricht überlassen wir unseren Kunden und Gesellschaftern, auf diesem Gebiet sind sie unschlagbar, weil sie natürlich die lokalen Bedingungen vor Ort kennen. Wir interessieren uns für die regionale Nachricht, wenn sie Bedeutung hat für ein Bundesland, also für einen Landesdienst der dpa, und wir interessieren uns beispielweise für eine Nachricht aus Karlsruhe, wenn sie auch in Kiel relevant ist, also für den Basisdienst der dpa. Ansonsten versuchen wir ein Gerüst zu bieten an Terminen, an Fotos, an regionaler Flächenberichterstattung, wir unterstützen lokale und regionale Medien dabei, möglichst gut zu sein. Wir wollen niemanden ersetzen, sondern helfen. Das war unser genossenschaftlicher Gründungsgedanke.
Andererseits zitieren Sie ja in manchen Berichten auch aus Regional- oder Lokalzeitungen. Wie kommt das zustande, ganz praktisch?
Für viele unserer Kundenredaktionen ist es offenbar immer noch eine wichtige Währung, zitiert zu werden. Wenn sie eine wichtige Nachricht haben, geben sie diese in Form einer Vorabmeldung an die dpa, mit der Bitte, sie zu übernehmen. Das tun wir auch. Wir machen vorher einen Plausibilitätscheck, bei manchen rechtlich eher heiklen Behauptungen, zum Beispiel wenn es um Persönlichkeitsrechte geht, prüfen wir das selbst noch einmal nach und lassen uns das bestätigen, soweit das möglich ist. Und dann bringen wir diese Nachricht. Erwähnt und wahrgenommen zu werden ist für lokale und regionale Titel noch immer enorm wichtig fürs Selbstbewusstsein und auch für den sportlichen Ehrgeiz der Redaktion.
Also sind diese Vorabmeldungen seitens der dpa durchaus erwünscht?
Natürlich! Das zeigt uns ja immer wieder, welch einen lebendigen Medienmarkt wir in Deutschland haben. Das geht von der Neuen Osnabrücker Zeitung zur Passauer Neuen Presse und von der Süddeutschen zum Hamburger Abendblatt. Das ist ein guter Mix. Dazu kommen dann noch die Öffentlich-Rechtlichen, die privaten Rundfunk- und Fernsehsender, das ist eine Vielfalt, die es sonst nirgends auf der Welt mehr gibt.
Sie bieten mit der dpa-Agenda auch eine Themen- und Terminsuche an. Wer nutzt dieses Angebot?
Die Agenda hat mehrere hundert Kunden, die meisten im Medienbereich, es gibt aber auch welche aus dem Bereich der Nichtregierungsorganisationen und Verbände, das hat dann eine etwas andere Funktion, da schaut Greenpeace nach, ob der BUND an dem Tag auch eine Pressekonferenz macht oder ähnliches. Aber die Medienkunden wollen natürlich ganz klassisch erfahren, was los ist. Das ergänzt die Tages-, Wochen- und Jahresvorschauen der dpa, und es ist zugleich ein Rückkanal. Sie können es zum Beispiel eintragen, wenn sie etwa bei einem Schülerzeitungswettbewerb in Berlin das Foto von einem Schüler aus der Region benötigen, der daran teilnimmt.
Wie stark nutzen Lokalzeitungen das Angebot?
Die großen Regionalzeitungen nutzen es, auch kleinere, alle Mantelredaktionen auf jeden Fall.
Wie intensiv befasst sich die dpa mit Zukunftsthemen wie etwa den neuen Möglichkeiten der Ambient News oder dergleichen?
Wir haben mit Niddal Salah-Eldin eine neue stellvertretende Chefredakteurin berufen, sie ist Chefin für Innovation und Produkt. Sie hat diese Themen auf ihrer Agenda. Wir experimentieren damit schon länger, wir bedienen die Smarthome-Geräte, wie Echo und Alexa, wir experimentieren mit Partnern im Bereich Weiße Ware, also zum Beispiel mit Kühlschränken, die auch Nachrichten anzeigen, und natürlich ist das autonome Fahren für uns eine Verlockung, denn wenn die Windschutzscheibe nicht mehr zum Durchschauen benötigt wird, wird sie zum Screen oder zu einer Zeitungsseite, und da wollen wir als Dienstleiter natürlich vertreten sein.
Wie wird die dpa in 70 Jahren aussehen? Wird sie noch eine klassische Agentur sein?
Wir sind längst nicht mehr die Agentur, wie wir das vor 70 Jahren waren. Das hat sich sehr stark diversifiziert. Aber in die Zukunft geblickt: Es wird eine sehr stark technisch geprägte Agentur sein, die hoffentlich weiterhin einen aufklärerischen Ansatz hat und guten Qualitätsjournalismus macht. Einen Journalismus, der alle Seiten hört, der sich den Werten dieser Gesellschaft bewusst ist. Und ich hoffe natürlich, dass sich auch Deutschland weiterhin den Werten unseres Grundgesetzes verpflichtet fühlt, denn das ist die Voraussetzung unserer Arbeit.
Interview: Stefan Wirner
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