„Wir sind mutiger geworden"
von drehscheibe-Redaktion
Wächter-Preis, Theodor-Wolff-Preis, Deutscher Lokaljournalistenpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung - das Hamburger Abendblatt hat unter dem Chefredakteur Menso Heyl in den vergangenen Jahren für seine Lokalberichterstattung zahlreiche Preise gewonnen. Am 15. Oktober wurde Heyl verabschiedet und von Claus Strunz abgelöst. Der drehscheibe-Redakteur Jan Steeger sprach mit Heyl über guten Lokaljournalismus, die Möglichkeiten kritischer Berichterstattung und die Zukunft von Regionalzeitungen.
Herr Heyl, Wächter-Preis, Theodor-Wolff-Preis, Deutscher Lokaljournalistenpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung – das Hamburger Abendblatt hat in den vergangenen Jahren für seine Lokalberichterstattung zahlreiche Preise gewonnen. Was machen Sie besser als andere?
Ich weiß nicht, ob wir etwas besser machen. Wir haben aber auf jeden Fall gute und entschiedene Geschichten im Blatt gehabt. Den Wächterpreis haben wir für unseren Kampf gegen einen juristischen Maulkorb in einem Betreuungsskandal bekommen, da wir uns mit großer Hartnäckigkeit gegen die Anwälte von Lokalpolitikern gewehrt und uns dafür eingesetzt haben, dass wir das schreiben können, was wir sagen wollen. Der Theodor-Wolff-Preis war für ein Dossier, in dem es um Migrantenkinder geht. Dort sind wir für Menschen eingetreten, die es schwer haben in unserem Land. Den Deutschen Lokaljournalistenpreis haben wir für unser redaktionelles Gesamtkonzept erhalten. Bei allen Geschichten haben wir den Mut gezeigt, unseren eigenen Weg zu gehen und dafür auch zu kämpfen. Und das fällt vielleicht auf.
Zudem fällt auf, dass Sie dem Lokalen beim Hamburger Abendblatt einen hohen Stellenwert zuschreiben.
Das Lokale ist unser Unique Selling Point. Vom ersten Tag an war das Hamburger Abendblatt ein bisschen anders konzipiert als andere Zeitungen. Nämlich durchlässig für lokale Themen. Bei uns kann Lokales in der Wirtschaft vorkommen, die Kultur hat lokale Elemente. Die Seite eins ist durchmischt mit Lokalem. Das ist einer der Gründe dafür, dass die Zeitung über Jahrzehnte hinweg Erfolg hat.
In Ihrer Dankesrede zum Lokaljournalistenpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung sagten Sie: „Ich befürchte, dass Zeitungen an dem Tag zu sterben beginnen, an dem der Lokaljournalismus beeinträchtigt wird, durch welche Absichten und kaufmännische Zwänge auch immer.“ Wieso ist das Lokale so entscheidend für die Zeitung?
Weil im Lokalen das zentrale Lebensumfeld des Lesers ist. Dort kommen wir dem Leser am nächsten. Wenn man über Mode berichtet, dann konkurriert man mit Spezialzeitschriften. Wenn man als Regionalzeitung über Afrika berichtet, dann konkurriert man mit den großen Magazinen, mit den Fernsehsendern und muss sich sowieso meistens auf Nachrichtenagenturen stützen. Im Lokalen sind wir am stärksten aufgestellt und hier sind die Interessen des Lesers am stärksten. Deswegen ist das Lokale so wichtig und darf nicht beeinträchtigt werden. Ich habe neulich das Exposé von Axel Springer zum Lizenzantrag unserer Zeitung vor 60 Jahren gelesen. Dort schreibt er: „Das Vertrauen des Lesers wird vor allem durch Nachrichten erworben, die ihn nahe angehen.“ Das ist eine Art Auftrag an uns.
Obwohl Journalisten gern erzählen, dass sie ihr Handwerk im Lokalen gelernt haben, wird der Lokaljournalismus doch oft abschätzig behandelt. Woran liegt das?
Das Lokale wird gern als die Kinderstube angegeben, über die man hinausgekommen ist. Ich glaube aber, dass diese Meinung sich ändert. Für viele Zeitungen wird es überlebenswichtig, dort erfolgreich zu sein, wo die Leserinteressen am stärksten sind. Es ist ja auch in der Literatur meistens so, dass die Schriftsteller, die am abgehobensten sind, für die Klügsten gehalten werden. Tatsächlich aber bewegen oft die Bücher die Leser am meisten, die auf den Menschen eingehen.
Sie haben von 1977 bis 1979 bei den Harburger Anzeigen und Nachrichten volontiert, waren dann fünf Jahre lang Redakteur beim Hamburger Abendblatt. Wie haben sich seitdem die Anforderungen an Lokaljournalisten verändert?
Damals lief naturgemäß alles auf die Zeitungen zu, von den Anzeigen bis zu den Nachrichten. Die Konkurrenz war nicht so groß und es gab auch keinen Grund über die Kernaufgaben des Journalisten nachzudenken. Wir waren das Nachrichtenmedium auf dem Markt und die Informationen waren nur bei uns zu finden. Die erfahrenen Kollegen in der Redaktion wussten aus der Routine heraus, was sie machen müssen, weil es der tradierte Weg war. Das alles ist heute infrage gestellt. Wir sind als Zeitung mit der Nachricht lange nicht mehr die Ersten. Wir müssen anderes liefern. Wir müssen die Leser faszinieren. Mehr faszinieren, als wir das mit Routine könnten. Wir müssen Themen nicht mehr nur danach auswählen, ob sie neu sind, sondern ob sie auch hilfreich und interessant für den Leser sind.
Wie gelingt das?
Nehmen Sie zum Beispiel die Kommunalwahl in Bayern. Ich habe am Tag danach verschiedene Zeitungen gelesen und dabei die Nachrichtenzusammenfassungen gar nicht beachtet. Ich wusste ja bereits, wie die CSU abgeschmiert war. Aber die Analysen, Kommentare und persönlichen Stellungnahmen der Redakteure waren neu und interessant. Ich glaube, wir müssen darüber nachdenken, so etwas zu stärken, dann wird die Zeitung auch in Zukunft von vielen Menschen gelesen.
Also mehr Kommentare ins Blatt?
Mehr Inhalte, die aus der Persönlichkeit der Redaktion kommen, aus der Verarbeitung einer Nachricht durch ein Individuum. So wie ein Maler die Landschaft deutet, die er malt. Was er für Farbakzente setzt, was er in den Vordergrund rückt. Das ist wichtig. Dieses persönliche Verarbeiten ist der große Unterschied zu dem schnellen Journalismus im Internet. Im Grunde ist eine Zeitung etwas, wo einige wenige für andere die Wirklichkeit sehen und ausdeuten. Und dafür gibt es eine große Kundschaft. Man bevormundet den Leser dabei nicht, sondern macht ihm ein Angebot, wie die Welt an diesem Tag zu verarbeiten ist.
Welche Erfahrung aus ihrer journalistischen Arbeit ist für Sie besonders nachhaltig gewesen?
Eine Erfahrung, die ich wichtig finde, ist, dass die Leser es merken, wenn sich die Zeitung in eine falsche Richtung bewegt. Es gibt da eine Art Schwarm-Intelligenz unter den Lesern. Wenn sich ein Proteststurm regt, kann dieser völlig falsch sein, aber es lohnt sich trotzdem genau hinzugucken, ob man nicht selbst in der Intonierung, in der Aufmachung, in der Bewertung einen Fehler gemacht hat. Und dann auch zu reagieren.
Sie haben viele Jahre beim Boulevard gearbeitet. Was haben Sie aus dieser Zeit mitgenommen?
Zum Beispiel die schnelle Reaktion, die dort erforderlich ist. Ich glaube auch, dass der Boulevard – mit allen Gefahren – klarer ist. Man versteckt sich dort nicht so leicht hinter Formulierungen. Das ist zwar risikoreich, aber es bringt einen auch dazu, klare Aussagen zu treffen. Außerdem weiß jeder, der mal im Boulevard gearbeitet hat, wie schnell man in Gefahr kommt zu überziehen. Auch das kann ein Vorteil sein.
1998 sind Sie wieder zum Hamburger Abendblatt gekommen. Wie hat sich das Blatt seither verändert?
Wir sind vor allem in der Recherche stärker geworden, was zum Teil in den Journalistenpreisen gipfelte. Und wir sind mutiger geworden, uns zu reiben – auch politisch. Regionalzeitungen neigen ja dazu, den jeweiligen politischen Amtsinhabern sehr nahe zu sein. Das darf kein natürlicher Weg sein. Man muss sich mit den jeweiligen Machthabern reiben. Nicht jeden Tag, aber immer wieder.
Besonderen Erfolg hatten Sie mit der Stadtteilserie „Hamburg lebenswert“, die vor zwei Jahren lief.
Die Serie war deswegen so erfolgreich, weil sie Esprit und vollkommen neue Sichtweisen hatte. Eigentlich ist eine Stadtteilserie etwas ganz Banales. „Hamburg lebenswert“ war aber von der Temperatur im Blatt außergewöhnlich. Scharf, pointiert, witzig – und plötzlich ist ein altes Thema neu geworden. Wir haben dabei bewusst mit Dingen gespielt. In unserer Werbung zur Serie nannten wir den Stadtteil Blankenese mit den vielen Villen „Blanke Knete“ und der Schwulen-Stadtteil St. Georg wurde als St. Gayorg bezeichnet. Das ist ungewöhnlich für eine Regionalzeitung und schafft Aufmerksamkeit. Wir haben mit der Serie nicht nur den Lokaljournalistenpreis gewonnen, sondern vor allem auch Erfolg am Markt gehabt. Das schlug sich in der Auflage nieder. Und hinterher haben wir 35.000 Bücher der Serie verkauft.
Die Serie bestand aus 51 Folgen. Mehr als die Hälfte davon erschienen als Panorama-Seiten. Wie haben Sie dieses Mammutprojekt gestemmt?
Wir haben zwei Kollegen aus dem Tagesgeschäft herausgenommen, die sich um die Serie gekümmert haben, und Gruppen für die einzelnen Stadtteile gebildet. So war das auf viele Schultern verteilt und alle wurden einbezogen. Allerdings haben wir in der Vorbereitung eine ganze Zeit gebraucht, bis die Kollegen ihren Routinepanzer abgelegt hatten. Viele dachten, so etwas Freches könne man doch gar nicht in einer bürgerlichen Abonnement-Zeitung schreiben. Der große Erfolg bei den Lesern hat gezeigt, dass man es doch kann.
Die Serie wurde als Buch zweitverwertet. Müssen Zeitungsverlage diesen Weg gehen, um die sinkenden Auflagen zu kompensieren?
Wenn die Wirtschaft etwas schwächer atmet und der Anzeigenmarkt zurückgeht, müssen die Verlage alle Möglichkeiten ausschöpfen. Aber man kann nicht das eine durch das andere ersetzen. Das was auf den Rubrikenmärkten, dem klassischen Standbein der Regionalzeitungen, durch das Internet weggebrochen ist, kann nicht einfach durch ein Buch ersetzen werden. Sondern nur durch eine Vielzahl von speziellen Angeboten, von denen solche Bücher nur eines sind. Wir können alles anbieten, was zur Zeitung passt. Tickets, Bücher, Reisen und so weiter. Wenn wir allerdings anfangen, Spülmittel zu verkaufen, merken die Menschen, dass da etwas nicht zusammen passt.
Sie sagen, dass es auch in 30 Jahren noch Tageszeitungen geben wird. Wie müssen sich Zeitungen aufstellen, um überlebensfähig zu bleiben?
Wir müssen offen sein, was den Transportweg der Zeitung betrifft. Also, ob die Zeitung über das bedruckte Papier an den Leser kommt, über das Internet oder auf welche Art auch immer. Das kann uns egal sein, solange wir die Zeitung als solche machen können. Wir müssen uns auf unsere Kernaufgabe besinnen. Als Journalist braucht man nicht andauernd neue Geschäftsfelder entdecken, sondern soll etwas für seine Leser machen: Bewerten, einordnen, gegen etwas angehen und Hilfestellungen geben. Dann wird die Gemeinde derer, die uns als Zeitung – in welcher Form auch immer – haben wollen, groß genug bleiben, um uns zu ernähren.
Benötigen Lokaljournalisten zukünftig neue Qualifikationen?
Es kommen viele neue Aufgaben auf einzelne zu. Aber es müssen nicht alle alles können. Es wäre ja idiotisch, jemanden, der gut schreiben kann, zu zwingen, einen Großteil seiner Zeit mit Fotografieren zu verbringen. Wenn man in der Redaktion solche Begabungen hat, muss man die Leute dort einsetzen, wo sie die beste Leistung bringen. Dennoch werden in Zukunft viele Journalisten mehr Dinge tun müssen als früher und auch mal mit der Videokamera herumlaufen. Das finde ich gar nicht schlecht.
Doch nicht nur der wirtschaftliche Druck nimmt zu. Das Hamburger Abendblatt hatte in den vergangenen Jahre wegen kritischer Berichterstattung auch juristische Auseinandersetzungen. Sie haben sogar einmal einen Beitrag mit Schwärzungen abgedruckt.
Wenn uns Gerichte vorschreiben, einen Fall so unkenntlich zu machen, dass die Leser nicht mehr erkennen können, worum es sich dreht, dann ist die tragende Säule unseres Berufs bedroht. Wenn wir das zulassen, dann können wir einpacken. Daher haben wir im Zuge der Berichterstattung über den Betreuungsskandal einen Beitrag mit den Schwärzungen abgedruckt. Es ist erstaunlich, wie es wirkt, eine Seite mit den Schwärzungen des Zensors zu veröffentlichen. Das hat eine Sogwirkung gezeigt. Alle haben hingeguckt und am Ende haben wir gewonnen. Der Maulkorb war weg.
Ist es denn durch die juristischen Hürden für die Zeitungen schwieriger geworden, kritisch zu berichten?
Ich habe den Eindruck, dass die Zahl der Regulierungen immer größer geworden ist. Es ist vielleicht eine normale Entwicklung in reifer und älter werdenden Gesellschaften, dass immer mehr Bereiche der Regulierung unterworfen werden. Allein die Auflagen beim Fotoabdruck waren vor 25 Jahren nicht so groß. Diese Bereiche sind auch von vielen Anwälten als Geschäftsfelder entdeckt worden. Dadurch ist es schwieriger geworden für die Journalisten.
Würden Sie einem jungen Menschen trotzdem noch raten, den Beruf des Journalisten zu ergreifen?
Für mich ist das weiter ein Traumberuf, aber er ist nicht einfacher geworden. Die jungen Kolleginnen und Kollegen heute haben es schwerer als die Berufsanfänger in meiner Generation. Bei mir reichten noch drei Anrufe und ich hatte ein Volontariat. So einfach geht das heute nicht mehr.
Interview: Jan Steeger
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