Interview

„Wir wollen dahin, wo die Leser sind"

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Die Volontäre der Rhein-Zeitung bereisten zur Bundestagswahl 2009 die Region mit einem Wahlmobil. Regina Theunissen, Projektbeauftragte der Chefredaktion, erzählt, wie das Volo-Projekt umgesetzt wurde.

Die Volontäre der Rhein-Zeitung bereisten zur Bundestagswahl 2009 die Region mit einem Wahlmobil. Wie kam es zu dieser Idee?

Wir machen traditionell zu Wahlen ein Volontärsprojekt. Wahlen sind eine Steilvorlage für Projekte, weil man kein Ereignis erfinden muss. Die Volontäre entwickelten die Idee zusammen mit mir bei einem Volontärstag. Der Gedanke war, in der Region mobil zu sein und zu schauen: Was läuft zurzeit? Welche Themen sind präsent? Was haben sie mit der Bundespolitik zu tun? Und wie können wir sie multimedial darstellen, sodass wir möglichst viele Leute auf unterschiedliche Arten erreichen?

Wie sah das Konzept aus?

Wir wollten dahin, wo die Leser sind, wo bestimmte wichtige Themen anstehen. Uns war wichtig, dass wir präsent sind vor Ort, deshalb dieses Auto. Uns war wichtig, alle medialen Wege, die uns zur Verfügung standen, auch auszuprobieren, in Kontakt mit Lesern zu bleiben und gleichzeitig neue Nutzer zu generieren. Deshalb haben wir zum Beispiel über Twitter oder Facebook gesagt, was wir planen, und auch auf Hinweise reagieret.

Haben die Leser das angenommen?

Die Leser waren mit der Wahlmobilmannschaft im Dialog. Das lag auch daran, dass das Auto sehr präsent war. Leser haben weitergetweetet, wo das Wahlmobil gerade ist, wo es hinfährt, haben Tipps gegeben, wo es sich lohnt hinzufahren. Für die damalige Zeit war das schon beeindruckend. Heute wäre der Kontakt sicher noch intensiver.

Wie sah das in der Praxis aus?

Wir hatten damals zusammen mit Radio RPR, mit dem wir zwei Multimedia-Volontäre gemeinsam ausgebildet haben, 20 Volontäre. Die haben wir vier Wochen auf die Reise geschickt. Jeweils eine Woche lang war ein Team von fünf Personen im Einsatz. Vier waren mit dem Wahlmobil unterwegs. Einer saß in der Zentrale und koordinierte, programmierte, führte Absprachen mit den Redaktionen.

Und wo landeten die Inhalte?

Zum Teil ging der Output an die Redaktionen im Haus und erschien in den Lokalteilen oder im Mantel unser Zeitung, zum Teil auf Facebook, Twitter oder in eigenen Blogs und alles auf die Homepage www.wahlmobil.de Die Volontäre haben von unterwegs geschrieben, bearbeitet und gesendet. Alles aus dem Auto. Es sollte unmittelbar sein. Bei Social Media kann man nicht lange warten.

Können Sie ein paar Beispiele nennen, welche Geschichten die Volontäre machten?

Zum Beispiel das Thema Bahnlärm, mit dem wir hier im Mittelrheintal sehr viel zu tun haben. Da haben die Volontäre an der Bahnlinie im Zelt übernachtet, haben davon einen Videofilm gedreht, Leute befragt und darüber geschrieben. Oder in Pirmasens, einer Region mit hoher Arbeitslosigkeit, haben sie im Flur des Arbeitsamtes mit den Leuten und dem Arbeitsamtsdirektor geredet. Oder sie haben den damaligen Wirtschaftsminister zu Guttenberg mit einer Farb- und Stilberaterin bei einem Termin begleitet, die was zu seinem Outfit gesagt hat.

Wie haben Sie das Projekt vorbereitet?

Wir haben zwei mal zwei Volontärstage dazu genutzt. Der Rest passierte eher zwischen Tür und Angel, aber mit einem hohen Einsatz der Volontäre: Homepage erstellen, das Auto und Equipment besorgen. Wir haben eine Mappe erarbeitet mit Wissen, das jeder braucht, der im Wahlmobil unterwegs ist. Wir mussten aber auch die Frage klären: Wie machen wir auf uns aufmerksam? Das Auto musste beklebt und auf allen Kanälen getrommelt werden.

Das hört sich nach vielen Wochen Vorlauf an.

Wir haben Ende Mai die erste Idee entwickelt. Von da an ging alles immer nebenher. Anfang September, vier Wochen vor der Wahl, sind wir gestartet.

Wie sah die technische Ausrüstung aus?

Wir haben meistens mit den winzig kleinen Flipkameras gearbeitet, für Bild und Ton. Das Team war stets online verdrahtet. Wir haben uns ein einfaches Schnittprogramm heruntergeladen, weil es uns darauf ankam, dass jeder es anwenden kann. Wir hatten unsere ganz normalen Laptops, normale Kameras. Da war nichts Spezielles extra angeschafft.

Was hat gut geklappt und was weniger gut?

Natürlich hatten die jungen Kolleginnen und Kollegen nicht die Routine und waren nicht alle gleich gut in technischen Dingen. Da hat es dann schon mal gehakt. Aber im Grunde konnte man zufrieden sein. Ich glaube, es war die preiswerteste Personalentwicklungsmaßnahme, die man haben kann. Die Volontäre haben in einer Woche Wahlmobil-Einsatz so viel gelernt wie sonst nie in so einer kurzen Zeit. Sowohl multimedial, kollegial, in der Zusammenarbeit, in der Konzeption.

Was würden Sie Kollegen raten, die etwas Ähnliches machen wollen?

Ich glaube, man sollte nicht so viel regeln. Wir haben uns am Anfang zu viele Regeln gegeben und zu viele Gedanken gemacht. Es hat sich im Nachhinein rausgestellt, dass es oftmals gut war, Dinge laufen zu lassen und erst einmal  zu machen.

Würde das auch mit erfahrenen Redakteuren funktionieren?

Sicher. Aber es wäre anders. Die Arbeit mit den Volontären hat einen großen Charme. Sie beobachten anders, finden einen anderen Ansatz. Was für Normalredakteure zur Routine wird, sehen die jungen Leute durch eine deutlich andere Brille. Ich glaube, dass es gut ist, die Wahl als Herausforderung zu begreifen, sich mit eher drögen Sachverhalten zu konfrontieren, mal näher und auf eine andere Art an der Politik dran zu sein. Ich finde es wichtig, dass sich die jungen Leute damit auseinandersetzen.

War es ein Weg, um Menschen zu erreichen, die sich für Politik nicht interessieren?

Vor allem durch die etwas schrägeren Geschichten ist das gelungen. Wir haben aufgrund der Follower bei Twitter sehen können, wer uns begleitet. Da waren durchaus Leute dabei, die man sonst nicht erreicht. Aber man musste schon erst mal ein Stück trommeln, damit die Leute auf uns aufmerksam werden. Wir haben das vor allem auch über die sozialen Netzwerke erreicht.

Wovon würden Sie im Nachhinein lieber die Finger lassen?

Ausprobieren sollte man alles. Ob man alles sendet oder weiterkommuniziert, ist die Frage. Ich finde, wenn man es als Volontärsprojekt deklariert, darf man auch mal Fehler machen. Das Projekt hat ja auch von der Authentizität und Spontanität gelebt. Uns ist da nicht immer alles super toll gelungen. Wenn man eine Mannschaft zur Marke macht, finde ich das aber nicht dramatisch.

Planen Sie zur nächsten Bundestagswahl ein Wahlmobil 2?

Wir diskutieren, ob wir ein Wahlmobil in abgespeckter Form machen, dafür in Teilen etwas professioneller. Die andere Möglichkeit ist, ein paar andere Akzente zu setzen, vielleicht noch multimedialer zu werden, neue Möglichkeiten auszunutzen. Wir wollen auf Plattformen präsent sein, auf denen  junge Leute unterwegs sind - und vielleicht auf das, was die erfahrenen Kollegen machen, ein paar Gags obendrauf setzen.

Hat das Projekt was gebracht für die Leser, für die Zeitung?

Für Leser und Zeitung hat es das Wahlmobil auf jeden Fall schon mal Vielfalt in der Wahlberichterstattung gebracht. Außerdem haben wir zumindest die Leute, die mit dem Wahlmobil in Kontakt standen – über Twitter oder in den Schulen, bei Terminen etc. - neugierig gemacht, ihr Interesse geweckt und sie zu einer stärkeren Auseinandersetzung mit dem Thema Wahl angeregt. Und für die Zeitung – wir sprechen hier ja von 2009 – war der Profit, mobile und multimediale Berichterstattung umfassend zu denken und umzusetzen. Äußerungen und auch Lob gab es, sowohl im direkten Kontakt als auch - wie heute noch in Twitter-Protokollen nachvollziehbar - via Internet.

Interview: Robert Domes

Kontakt

Regina Theunissen, Jahrgang 1961, ist seit 1999 bei der Rhein-Zeitung Projektbeauftragte der Chefredaktion. Seit vielen Jahren kümmert sie sich unter anderem um die Ausbildung der Volontäre.
Mail: Regina.Theunissen@rhein-zeitung.net

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