„Wir wollen weitermachen"
von drehscheibe-Redaktion
Christian Jöricke und sein Kollege Marcus Stölb betreiben das Stadtblog 16vor in Trier. Auf der Seite starteten sie kürzlich einen Aufruf an die Leser und baten um finanzielle Unterstützung ihrer Arbeit. Über die Gründe und über die Reaktionen sprach Christian Jöricke im drehscheibe-Interview.
Herr Jöricke, sieht es so brenzlig aus bei 16vor?
Wir haben diesen Appell an die Leser und potenzielle Anzeigenkunden gerichtet, weil wir noch mal darauf aufmerksam machen wollten, dass guter Journalismus auch Geld kostet. Das sollte ein Weckruf sein.
Zum Spendenaufruf gab es einige Leserkommentare, viele verstehen Sie, manche finden es nicht gut, dass Sie es „auf die Mitleidstour“ versuchen. Was sagen Sie zu der Kritik?
Es ist grotesk und sagt viel über die immer noch stark verbreitete Gratismentalität von Nutzern aus, wenn unser Hinweis kritisiert wird, dass unser kostenfrei zur Verfügung gestelltes Angebot auch finanziert werden muss. Wir betreiben schließlich keinen privaten Blog, sondern ein professionelles Online-Magazin.
Wenn der Aufruf nicht funktioniert – ist 16vor dann am Ende?
Ziel war von Anfang an, irgendwann allein von 16vor leben zu können. Im vergangenen Jahr haben wir etwa 25.000 Euro eingenommen. Das versuchen wir in den nächsten zwölf Monaten um mindestens 25 Prozent zu steigern. Wir haben vor wenigen Wochen ein neues Werbekonzept gestartet, ein Partnerprojekt, bei dem Firmen individuell mit einem Portrait vorgestellt werden. Das ist sehr gut gestartet und wir hoffen, dass sich unsere Einnahmensituation deutlich verbessert. Wir wollen auf jeden Fall weitermachen.
Auf das „Partnermodell“ hat auch Meinesuedstadt.de von Beginn an gesetzt. Tauschen Sie sich untereinander aus?
Ich habe mich vor einem Jahr mit Steffen Greschner von der Tegernseer Stimme getroffen, die das Modell ebenfalls haben. Er hat berichtet, dass sich das sehr vielversprechend entwickelt – auch bei meinesuedstadt oder anderen. Es ist offenbar ein zukunftsträchtiges Modell.
Sie mussten also erkennen, dass Sie noch mehr tun müssen vor Ort, um Einnahmen zu erzielen?
Das Problem war bei Markus Stölb und mir, dass wir schon mit Inhalten und Technik extrem ausgelastet sind und uns gar nicht richtig um die Anzeigenakquise kümmern konnten – das ist suboptimal. Deshalb versuchen wir jetzt mit externen Leuten dafür zu arbeiten. Erfreulich ist bei den Anzeigenkunden, dass für viele gar nicht die Reichweite zählt, sondern die Qualität des Angebots.
Was erhoffen Sie sich andererseits von dem Förderverein, den Sie gegründet haben?
Die stärksten Säulen sind die Anzeigen und hoffentlich bald das Partnerprojekt, der Verein ist eine wichtige Ergänzung für uns. Vor allem ist es schön zu sehen, dass die Leute darüber ihre Identifikation mit 16vor zeigen – aber das macht finanziell einen relativ kleinen Anteil aus.
Auch Ihre Leser sind also noch nicht bereit, für Journalismus im Netz zu bezahlen?
Das muss man differenzieren. Ich glaube schon, dass der Leser bereit ist, zu zahlen, wenn der Vorgang relativ einfach zu erledigen ist. Wir überlegen gerade, das Modell der taz umzusetzen, bei dem ein Layer über dem angeklickten Artikel erscheint, der fragt, ob man zahlen möchte oder diesmal nicht. Das ist keine Bezahlschranke und sehr einfach zu bedienen.
Ihr Kollege von Altona.info erzählte mir das Gleiche. Sie alle schauen sich um?
Auf jeden Fall. Die Zeitungsbranche hat in den letzten Jahren erlebt, was passiert, wenn man sich zu sehr auf Anzeigen verlässt. Das kann man vermeiden, indem man verschiedene Einnahmeformen nutzt.
Stiftungen und Spenden im großen Stil sind aber weiterhin kein Modell für den deutschen Markt?
Zu uns ist noch kein Investor gekommen.
Wären Sie denn offen für einen?
Das hinge ganz von den Konditionen ab. Wenn uns unsere journalistische Freiheit bliebe, wäre es eine Überlegung wert.
Was hat sich allgemein getan auf 16vor.de seit unserem letzten Gespräch 2010?
Die Einnahmen und Zugriffszahlen sind etwas angestiegen in den letzten Jahren, es hat sich inhaltlich einiges verbessert, wir haben das redaktionelle Angebot weiter ausgebaut mit verschiedenen neuen Rubriken. Und wir haben ein neues Ressort: Wirtschaft.
Damals waren Sie zu zweit mit einer Hand voll freier Mitarbeiter. Wie hat sich das Team inzwischen entwickelt? Sie sagten, dass die Gewinnung guter Schreiber ein Problem war?
Es ist immer noch schwierig, weil viele denken, sie könnten gut schreiben. Wir kriegen bestimmt einmal in der Woche eine Anfrage für ein Praktikum oder freie Mitarbeit, da bleiben aber nur ganz wenige hängen. Der Mitarbeiterstamm ist in etwa so geblieben. Wir hoffen, dass wir die Honorare durch die neu gewonnenen Einnahmen endlich ein bisschen erhöhen können. Wir zahlen gerade pauschal 30 Euro. Wenn man bedenkt, dass manche Lokalzeitung ein Zeilenhonorar von 20 Cent bietet, liegen wir da je nach Länge des Beitrages also sogar noch drüber.
Welchen Stand hat 16vor als weiteres lokales Angebot, das Sie schaffen wollten, im Markt?
16vor hat sich relativ früh etabliert und dadurch, dass wir ein breites Spektrum an Themen abdecken, hat das auch eine Auswirkung auf die Tageszeitung gehabt.
Inwiefern?
Der Trierische Volksfreund hat sich deutlich verbessert, das hängt vielleicht auch mit der neuen Chefredakteurin zusammen, die einige personelle Veränderungen, gerade für die kommunalpolitische Berichterstattung, bewirkt hat. Ich glaube aber, dass wir da mitverantwortlich sind. Wir haben manche Themen schneller oder bringen Geschichten, die sie nicht haben. Sie haben gemerkt: Es gibt jetzt eine Alternative. Da mussten sie eine Schippe drauflegen.
Bricht Ihnen denn nicht das Nischenmodell (hyper)lokales Online weg? Wenn mittlerweile auch die klassischen Verlage wieder mehr dorthin schauen?
Was uns ausmacht, ist, dass wir sehr ausführlich über die Themen vor Ort berichten. In der Zeitung gibt es Zeilenbegrenzungen, die wir nicht haben. Hinzukommt, dass uns das sehr hohe Niveau der Artikel weiterhin wichtig ist. Wir haben hier immer noch ein Alleinstellungsmerkmal, deshalb ist uns auch nicht Angst und bange. Außerdem haben so manche größere Medien in Deutschland ihre hyperlokalen Projekte auch schon wieder eingestellt.
Was bleibt vom hyperlokalen Hype am Ende übrig?
Es wird ziemlich viel wieder verschwinden. Ich kann mir vorstellen, dass in den nächsten zwei bis drei Jahren noch mal verstärkt solche Portale aufkommen, aber wir nähern uns langsam dem Peek. Und zwar dann, wenn der Idealismus bei den Machern weggeht, wenn für den hohen zeitlichen Aufwand die Einnahmen fehlen. Der Idealismus von Kollege Stölb und mir ist nach sechs Jahren nach wie vor sehr hoch. Wir wollen noch mal dahin kommen, dass sich 16vor wirtschaftlich trägt – und bleiben bei der Hoffnung, dass sich Qualität durchsetzen kann.
Sie haben aber noch ein zweites Standbein?
Ja, ich bin noch immer freier Autor. Für 16vor gehen momentan in der Woche etwa 30 Stunden drauf, also 50 Prozent meiner Arbeitszeit.
Was ist aus dem Plan geworden, 16vor als Printversion zu bringen?
Das wollen wir immer noch, leider ist es bisher am Zeitmangel gescheitert. Das Konzept steht aber. Wir wollen kein periodisches Magazin herausbringen, sondern erstmal die Reaktionen testen. 16vor in gedruckter Form möchten wir unbedingt noch umsetzen.
Interview: Imke Emmerich
Hier geht's zum Pdf-Download der Masterarbeit „Hyperlokale Plattformen in Deutschland“ von Imke Emmerich.
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