„Wir wollten von den Lesern Reaktionen provozieren"
von Stefan Wirner
Was tun, um die Leser auf den neuen Internetauftritt aufmerksam zu machen? Die Redaktion der Leine-Deister-Zeitung aus Gronau hat sich eine offensive Strategie einfallen lassen. Warum nicht einfach Leserkommentare provozieren? Nein, nicht mit einem Artikel über die Ratsversammlung, sondern mit einem völlig hyperlokalen Thema. Die drehscheibe sprach mit Redaktionsleiter Florian Mosig über das interaktive Experiment.
Herr Mosig, Sie haben mit einem Online-Artikel auf der Homepage Ihrer Zeitung Ihre Leser getestet. Was haben Sie genau gemacht?
Wir haben seit einiger Zeit einen neuen Internetauftritt, auf den wir unsere Leser aufmerksam machen wollen. Wir möchten sie dazu bringen, dort Artikel zu kommentieren. In den letzten Monaten haben wir festgestellt, dass es immer dann Feedback gibt, wenn die Artikel sich um extrem lokale Themen drehen. Größere Themen scheinen viele Leser gar nicht so zu interessieren. Der demographische Wandel in unserer Region, Schließungen von Schulen, Stellenabbau in Firmen etc. – darauf kriegen wir erstaunlicher Weise kaum Feedback. Aber wenn Artikel die Probleme vor der eigenen Haustüre betreffen – die Straße, die nicht saniert wird, oder dergleichen – dann gibt es Rückmeldungen zuhauf.
Welches lokale Thema haben Sie für Ihren Text aufgegriffen?
Wir haben hier in der Stadt seit eineinhalb Jahren einen offenen Bücherschrank stehen. Man kann dort Bücher hineinstellen, sich welche nehmen und wieder zurückbringen, wie man will. Seine Aufstellung hat damals 3000 Euro gekostet. Es wurde immer wieder gefragt, ob er sich überhaupt rechnet und ob er in so einer Kleinstadt überhaupt funktioniert. Wir haben ihn dann eine Weile beobachtet und festgestellt, dass er durchaus genutzt wird. Nun wollten wir aber nicht den üblichen Weg gehen und zum Beispiel Leute befragen, warum sie ihn nutzen, die Stadtverwaltung anrufen etc., sondern wir wollten von den Leser Reaktionen provozieren. Ich habe dann einen schnippisch-ironischen Text verfasst und geschrieben, der Schrank werde wohl nur bei Nacht und Nebel benutzt, denn Leute, die lesen, müssten sich ja heute schief angucken lassen, weil alle nur noch vor dem Fernseher sitzen. Das war in etwa der Tonfall.
Wie fielen die Reaktionen aus?
Die Leser sind davon ausgegangen, dass es sich dabei um meine wirkliche und persönliche Meinung handele, dass ich von Büchern nichts halte und den Schrank für nicht sinnvoll erachte und dass ich glaube, dass sich die Leute, die ihn nutzen, schämen müssten. Ich habe ein dickes Fell, aber manches war schon heftig. Ich habe Schmähbriefe erhalten, die zum Teil sehr beleidigend waren. Mir wurde unterstellt, dass ich keine Freunde hätte, dass ich noch nie ein Buch in der Hand gehabt hätte – und dass, obwohl wir ja auch immer Buchkritiken veröffentlichen. Mir wurde gesagt, dass ich ein „dämlicher Kerl“ sei und vom Posten des Redaktionsleiters abgesetzt gehöre.
Also wurde die Ironie nicht verstanden?
Ja, und das obwohl sie meiner Meinung nach klar heraussticht. Etwa wenn ich schreibe, dass der Bücherschrank wenigstens keinem schade. Ich habe den Eindruck, dass sich unsere Leser noch nicht mit solchen neuen Schreibweisen anfreunden können.
Haben Sie anschließend publik gemacht, dass der Text ironisch gemeint war?
Nein. Wir haben die Geschichte sogar noch einmal angefeuert, denn wir wollten ja herausfinden, ob man die Leser mit solchen Texten dazu bewegen kann, Kommentare abzugeben. Wir haben in unserer Printausgabe Leserbriefe zum Thema Bücherschrank veröffentlicht und darauf hingewiesen, dass der Artikel heftigen Gegenwind bekommen habe und auf der Homepage weiter diskutiert werde. So wollten wir den Lesern zeigen, dass wir auch Interesse daran haben, dass es mal Gegenwind gibt. Und das hat funktioniert, denn es wurde munter weiter debattiert.
Welche Schlüsse ziehen Sie aus Ihrem Versuch?
Wir folgern daraus, dass man so etwas machen kann und es die Leute auch bewegt. Wir wollen es auch wiederholen, und zwar so lokal und kleinteilig wie möglich. Wir wollen zum Beispiel einen Text veröffentlichen zum Thema Parkbänke, der hinterfragt, ob die zahlreichen Parkbänke in der Stadt, die einmal gestiftet wurden und nun herumstehen, überhaupt noch sinnvoll sind. Ich bin mir sicher, dass auch dieses Thema wieder auf große Resonanz stoßen wird. Wenn man solche Themen etwas anders aufgreift, vielleicht in einem schnippischen, ironischen Ton, kann das Diskussionen auslösen.
Ist es nicht auch eine Gratwanderung? Man kann mit solchen Artikeln sicher Reaktionen hervorrufen, läuft aber Gefahr dabei, Leser vor den Kopf zu stoßen. Möglicherweise kündigt der eine oder andere sein Abo.
Das Problem besteht. Allerdings habe ich mich um die Leser, denen die Geschichte nicht gefallen hat, persönlich bemüht. Ich habe sie angerufen und mit ihnen gesprochen. Im persönlichen Gespräch konnte ich genauer erklären, worum es bei dem Artikel ging und vor allem, dass ich gar nichts gegen den Bücherschrank habe.
Wie wurde das aufgenommen?
Sehr unterschiedlich. Viele Leute waren erstaunt, dass der Redaktionsleiter sie anrief. In größeren Städten kommt das sicherlich nicht vor. Ein Leser hat sich zum Beispiel für seinen Kommentar entschuldigt und versprochen, dass er sich beim nächsten Mal um einen anderen Tonfall bemüht. Eine Frau indes war weniger zugänglich, sie sagte, sie wolle mit mir nicht weiter darüber reden, alle im Dorf sähen es so wie sie.
Wie erklären Sie sich den Umstand, dass dieses hyperlokale Thema für Aufsehen sorgt, während politische Themen weniger kommentiert werden?
Wir besuchen sämtliche Ratssitzungen in unserem Einzugsgebiet. Die Vorlagen für die Themen, die da besprochen werden, sind so unverständlich formuliert sind, dass die Leute das Interesse an lokaler Politik verlieren. Der reine Nachbericht zu einer Ratssitzung wird einfach nicht mehr gelesen. Je näher ein Thema mit der Lebenswelt der Bürger zu tun hat, umso mehr interessiert es sie hingegen.
Wäre es dann nicht die Aufgabe einer Lokalzeitung, auch über die Ratssitzung so zu berichten, dass sie wieder interessant wird?
Wenn eine Ratssitzung ansteht, sprechen wir vorher schon mit Verwaltung und Politik, zum Beispiel über die Vorlagen. Und dabei bemerken wir, dass wir mit unseren Artikeln durchaus Einfluss auf die Entscheidungen nehmen können. Manchmal kann die Politik die Berichterstattung ganz einfach nicht ignorieren. Aber die Themen werden immer komplexer. Etwa das Problem der Verschuldung. Der Handlungsspielraum der Gemeinden wird immer kleiner. Und deswegen nehmen die Leser immer weniger Anteil daran.
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