Interview

„Zeitung aus einem Guss"

von

Lokales und Überregionales verknüpfen – mit diesem Ziel produziert das Delmenhorster Kreisblatt den Mantel wieder selbst. Chefredakteur Ralf Freitag erläutert das neue Konzept.

Herr Freitag, Sie haben einen ungewöhnlichen Schritt gewagt. Während der allgemeine Trend in der überregionalen Berichterstattung bei Lokalzeitungen eher zum Outsourcing geht, holen Sie die Mantelproduktion zurück ins Haus. Wie kam es zu dieser Entscheidung?

Den Ausschlag haben Marktüberlegungen gegeben. Wir stehen in starkem Wettbewerb zur Nordwest-Zeitung und zum Weser-Kurier, dessen Redaktion den Mantel in den vergangenen Jahren produziert hat. Wir wollen nun unser Profil schärfen und das Delmenhorster Kreisblatt auf unsere Leser zuschneiden. Wir haben ein sehr begrenztes Verbreitungsgebiet mit nur vier Kommunen in Niedersachsen, während der Weser-Kurier aus Bremen stammt und entsprechend aus Bremer Sicht berichtet. Bisher haben wir das im Lokalen abgefangen, hatten aber dadurch immer einen gewissen Bruch im Blatt. Wir wollen jetzt eine Zeitung aus einem Guss produzieren, uns so von unseren Konkurrenz-Zeitungen abheben und die überregionale Berichterstattung an die lokale andocken.

Wie meinen Sie das?

Wir haben die Umstellung von langer Hand geplant und verschiedene Säulen der künftigen Berichterstattung entwickelt, an denen sich die Redaktion orientieren soll. Ein wichtiger Punkt ist zum Beispiel der Perspektivwechsel. Bislang haben wir nach der Definition gehandelt: Lokal ist, was hier bei uns passiert. Künftig heißt es: Lokal ist dort, wo sich unsere Leser aufhalten. In der Konsequenz bedeutet das zum Beispiel weniger Terminberichterstattung und mehr Fokus auf die gesamte Metropolregion Bremen-Oldenburg, da in unserem Verbreitungsgebiet viele Pendler leben. Damit verknüpft ist ein zweiter wichtiger Punkt: die Relevanz für den Leser. Wir haben einen Katalog mit Kriterien erstellt, die künftig ein Thema erfüllen muss. Je mehr zutreffen, umso interessanter ist es und umso prominenter wird es platziert.

Was für Kriterien sind das zum Beispiel?

Wir haben bestimmte Dauerthemen in der Region. Etwa die bereits angesprochene Pendlerfrage, dann Gesundheit und Soziales – es leben zum Beispiel viele Alleinerziehende und alte Menschen in Delmenhorst – oder die Bundeswehr, da die Stadt ein wichtiger Standort ist. Daraus haben wir eine nach Relevanz abgestufte Matrix erstellt: Einige Themen wollen wir täglich im Blatt haben, andere wöchentlich und weitere wiederum monatlich. Diese Matrix wird in der Wochenplanung berücksichtigt. So können wir die Hintergrundberichterstattung fördern, überregionale Ereignisse herunterbrechen und zum Beispiel die Diskussionen um die Gesundheitsreform mit Umfragen bei Ärzten und Patienten bei uns in der Region flankieren. Das geht aber auch andersherum: Wenn zum Beispiel eine Partei zu einer Pressekonferenz über den Straßenausbau in Delmenhorst einlädt, werden wir künftig auch die Meinungen der anderen Parteien dazu einholen, Kontroversen herausarbeiten und Experten befragen, die nicht zwingend aus der Region stammen, aber das Thema aus einer übergeordneten Perspektive einschätzen können. So wird regional und überregional verknüpft.

Bislang steht ja das Lokale vorn und die überregionalen Seiten sind hinten im Blatt zu finden. Was für Auswirkungen hat das neue Konzept auf die Buchstruktur?

Wir werden mehr Themen machen, mit denen wir beide Perspektiven bieten. So muss der Leser nicht zwischen den Büchern hin- und herblättern. Wo diese Themen dann stehen, entscheiden wir fallbezogen – aber eher im Lokalen. Insgesamt wollen wir die klassischen überregionalen Seiten von drei Nachrichtenseiten auf künftig zwei Seiten reduzieren, die Wirtschaft von 1,5 Seiten auf eine. Dort werden wir das Weltgeschehen in Form von dpa-Meldungen abbilden, auf detailreiche Hintergründe aber verzichten. Machen wir uns nichts vor: Wenn sich jemand intensiv für die Politik der USA interessiert, wird er sich diese Informationen nicht aus dem Delmenhorster Kreisblatt holen. Wir konzentrieren uns lieber stärker auf die vor Ort direkt relevanten Themen.

Das klingt alles sehr gut – aber wie wollen Sie diese Pläne umsetzen? Bauen Sie die Redaktion aus?

Wir haben fünf neue Vollzeit-Planstellen am Newsdesk geschaffen. Dort sitzen die lokalen, regionalen und überregionalen Editoren zusammen. Die Editoren sollen aber nicht nur Seiten produzieren, sondern auch die Recherche unterstützen. Das kann so aussehen, dass zwei Reporter aus der Lokalredaktion ein Thema vor Ort recherchieren und ein Editor am Newsdesk die dpa-Meldungen dazu durchsieht oder Hintergrundwissen für die Kollegen besorgt. Da spielt uns zum Beispiel der neue dpa-Notizblock in die Hände. Über die Quellen im Anhang an Meldungen können wir gut weiter recherchieren.

Welche Rolle spielt eigentlich das Internet im neuen Konzept?

Unser Kerngeschäft ist die gedruckte Zeitung. Darum werden wir einen Relaunch der Internetseite erst dann umsetzen, wenn das neue Konzept in der Zeitung läuft. Aber wir sind uns der Bedeutung des Internets bewusst und planen, die Seite enger mit der Zeitung zu verzahnen und die Leser- beziehungsweise Nutzerkommunikation auszubauen, zum Beispiel über eine Kommentarfunktion.

Eingangs sagten Sie, dass die Umstellung von langer Hand geplant sei. Wie sind sie dabei vorgegangen?

Die Idee haben wir im ersten Quartal 2010 entwickelt. Im zweiten und dritten Quartal stand dann die Analyse von Zahlen und Tendenzen im Vordergrund. Wir haben uns also die für die Zeitung relevanten gesellschaftlichen Trends genau angeschaut, zum Beispiel die sozio-demografische Entwicklung in der Region wie Altersstrukturen, Veränderung der Familienverhältnisse oder Zu- und Wegzüge. Das ist wichtig, um zu lernen, wie sich die Gesellschaft verändert und die Zeitung anzupassen. Dann haben wir uns die Berichterstattung unserer Mitbewerber angeschaut: Wer wird dort zitiert? Welche Bilder werden verwendet? Im Anschluss haben wir das eigene Blatt analysiert und festgestellt, dass wir zu weit weg vom Leser und zu nah an der Agenda der Kommunalpolitik liegen. Die Erkenntnisse dieser Analyse haben wir ab Ende 2010 dann in ein Konzept gegossen, mit dem wir am 1. Juli starten.

Das ist ja sehr aufwendig. Hatten Sie dabei externe Unterstützung, etwa aus der Wissenschaft?

Wir haben in der Methodik mit einer Unternehmensberatung zusammengearbeitet. Die Auswertung haben wir aber allein gemacht – ohne ein wissenschaftliches Institut oder ähnliches.

Haben Sie auch Leser in die Planungen einbezogen?

Ja, wir haben Kleingruppen gebildet aus etwa 20 Lesern, von denen wir wussten, dass sie kritisch sind und unsere Zeitung lesen. Die meisten davon kannten wir vorher durch Leserbriefe oder Telefonanrufe. Mit diesen Kleingruppen haben wir das Konzept besprochen. Außerdem haben wir im Blatt eine Leserbefragung gemacht. Da wollten wir wissen, was die Menschen von einer Tageszeitung erwarten.

Welche Erwartungen knüpfen Sie an das neue Konzept?

Wir wollen uns nicht auf die kulturpessimistische Sichtweise einlassen, dass heutzutage keiner mehr Zeitung lesen will. Vielmehr führen wir die sinkenden Auflagenzahlen auf die falschen Inhalte zurück. Darum hoffen wir, den Lesern künftig mehr Erkenntnisgewinn zu bieten und den Spaß am Lesen zu fördern – um so den Abwärtstrend aufzuhalten und unsere Position im Wettbewerb auf dem lokalen Zeitungsmarkt zu stärken.

Interview: Katrin Matthes

Ralf Freitag

... ist Chefredakteur des Delmenhorster Kreisblatts.

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