„Ziffer 12 ist nicht unumstritten“
von Stefan Wirner
Edda Eick ist Referentin für Öffentlichkeit beim Deutschen Presserat.
Die Ereignisse der Silvesternacht in Köln haben die Öffentlichkeit erschüttert. Nach einigen Tagen wurde bekannt, dass viele Betroffene die Täter als „nordafrikanische“ oder „arabische“ Männer beschrieben haben. Viele Zeitungen übernahmen diese Formulierung. Dabei besagt Ziffer 12, Richtlinie 1 des Pressekodex zur Berichterstattung über Straftaten:
„In der Berichterstattung über Straftaten wird die Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten nur dann erwähnt, wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht.“ Die drehscheibe sprach darüber mit Edda Eick, Referentin für Öffentlichkeit beim Deutschen Presserat.
Frau Eick, wie sieht der Presserat die Nennung der ethnischen Zugehörigkeit der mutmaßlichen Täter von Köln, wie es in der Berichterstattung über die Ereignisse massenhaft der Fall war?
Das ist pauschal schwer zu beantworten, weil es immer auf den Zusammenhang und den einzelnen Bericht ankommt. Aber es handelt sich ja um eine Art massenhaftes Verbrechen, das in dieser Dimension noch nicht stattgefunden hat. Möglicherweise steckt auch eine größere kriminelle Struktur dahinter. In diesem Kontext wird dann anhand von Täterbeschreibungen gefahndet und berichtet – Stichwort „nordafrikanisches Aussehen“ – und das halte ich persönlich für akzeptabel. Anders zu bewerten wäre es, wenn es um die bloße Spekulation darüber ginge, ob das Motiv der Tat mit der religiösen Zugehörigkeit oder dem Migrationshintergrund etc. etwas zu tun haben könnte. Hierfür muss es konkrete Anhaltspunkte geben.
Ist die Ziffer 12 des Pressekodex in der Berichterstattung über die Kölner Vorfälle nicht auf eine Art ausgehebelt worden?
Das kann man so nicht sagen. Man muss genau den Kontext überprüfen, in dem berichtet wurde. Der Presserat hat mehrere Beschwerden erhalten, die nun einzeln geprüft werden. Erst dann wird der Presserat zu einer abschließenden Bewertung kommen. Zu den laufenden Verfahren kann ich leider nichts sagen.
Die Presse steht seit einiger Zeit gehörig unter Druck, Stichwort Pegida und der Vorwurf der „Lügenpresse“. Wäre es in diesem Zusammenhang überhaupt sinnvoll gewesen, die ethnische Zuordnung zu verschweigen, obwohl so viele Zeugen und Betroffene diese Zuordnung abgeben hatten und sich die Information sowieso schon über die sozialen Medien verbreitet hatte?
Nein, verschweigen kann nicht das Ziel sein. Berichterstattung ist für die Journalisten gerade in solchen Situationen keine leichte Aufgabe. Es ist eine Gratwanderung. Auf der einen Seite muss das Informationsinteresse der Bürger erfüllt werden, auf der anderen Seite gibt es schutzbedürftige Interessen einzelner oder einer Minderheit. Die Journalisten dürfen sich nicht dem Vorwurf aussetzen, Informationen zu verschweigen. Andererseits können sie bereits mit ganz kleinen Meldungen Ressentiments gegen Minderheiten schüren. Dessen müssen sich Journalisten bewusst sein. Da können schon einzelnen Formulierungen problematisch sein.
Können Sie einen exemplarischen Fall nennen, in dem die Nennung der Zugehörigkeit zu einer Ethnie etc. einen begründeten Sachbezug darstellen würde? Und einen, in dem das nicht der Fall wäre?
Zunächst wird die Nennung relevant, wenn es einen Sachzusammenhang zwischen Tat und Nationalität gibt. Das wäre beispielsweise der Fall, wenn es um organisierte Kriminalität geht, etwa um Mafia-Clans, die aus einem bestimmten Land stammen und in anderen Ländern agieren. In so einem Fall braucht man das Wissen über die Nationalität, um die Tat zu verstehen. Beim sogenannten Ehrenmord steht das Motiv für die Tat in Zusammenhang mit dem kulturellen Hintergrund. Wenn es sich aber beispielsweise um einen fünfzeiligen Bericht über einen Ladendiebstahl oder um den Aufbruch eines Autos handelt, hat die Nennung der Nationalität des mutmaßlichen Täters keinen Mehrwert, sie bedient nur Vorurteile gegenüber bestimmten Bevölkerungsgruppen. Die Tat hat da nichts mit der Nationalität zu tun.
Braucht die Ziffer 12 des Presserats eine Aktualisierung, wenn sie in der Praxis immer öfter nicht eingehalten wird?
Die Ziffer 12 ist nicht unumstritten. Es gibt seit Jahren immer wieder Diskussionen unter Lesern, in Redaktionen und auch beim Presserat selber. Diese Diskussionen müssen geführt werden, und sie werden auch weitergeführt. Der Presserat wird sich in diesem Jahr noch einmal mit der Ziffer 12 des Pressekodex befassen. Die Richtlinie 12.1. existiert ja seit dem Jahr 1988. Sie wurde damals eingeführt, um die Redaktionen daran zu erinnern, dass Berichterstattung zum Fördern von Vorurteilen führen kann. Ziel war es, alle Gruppen, die sich als Opfer von Vorurteilen fühlen, zu berücksichtigen. Diese Maßgabe sollte auch weiterhin gelten, sie sollte aber auch im redaktionellen Alltag handhabbar sein. Darüber wird der Presserat mit der Branche weiter einen Dialog führen.
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