Aiwanger-Aufmacher sorgt für Ärger
von Gastautor
Aus drehscheibe 12/2023
An der Ausgabe vom 5. September hatte ein Leser einiges auszusetzen. Im Aufmacher kam Jörg Skriebeleit zu Wort, der Leiter der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg. Die Redaktion hatte ihn zum Flugblatt aus Hubert Aiwangers Schultasche befragt. Die Seite zwei war komplett dem politischen Gillamoos in Abensberg (Anm. d. Red.: ein großer Jahrmarkt, auf dem traditionell politische Reden gehalten werden) vom 4. September gewidmet und vor allem Aiwangers Auftritt. In der Randspalte der Seite: Zitate und Sprüche vom Gillamoos.
Den Leser veranlasste dies zu folgender Mail an die Redaktion: „Sie zitieren je einmal Herrn Merz und Herrn Söder und fünfmal das links-grüne Lager. Sie schreiben in einem großen Artikel, Herr Skriebeleit arbeitet heraus und kritisiert Aiwanger, der angeblich den gesellschaftlichen Diskurs beschädigt. Sie vertiefen den Vorgang mit Aiwanger, um die Gemüter vor der Wahl am Glühen zu halten und Sie schreiben mit keinem einzigen Wort, dass 72 Prozent der bayerischen Wähler Söders Entscheidung für richtig halten. Sie schreiben kein Wort über den denunzierenden Lehrer nach über 35 Jahren oder über dessen Charakter – sein Hilferuf ist ihm reichlich spät eingefallen. (…) Wie war das noch mit der journalistischen Neutralität?“
Ich ließ ihn wissen, wie ich die Sache sehe. Die Seite, so schrieb ich ihm, „‚gehört‘ zu 80 Prozent Hubert Aiwanger, auf den an diesem Montag alles geblickt hatte. Dazu kommen auf 20 Prozent der Seite Zitate und Sprüche. Von jeder, ich betone, jeder Partei: CDU, CSU, SPD, Grüne, FDP, AfD. Vielleicht hätte man sich einmal Grün sparen können. Insgesamt aber: Ausgewogenheit, meiner Ansicht nach.“ Es sei außerdem legitim, den Leiter einer KZ-Gedenkstätte zu dem antisemitischen Machwerk zu befragen.
Der Leser hatte davon gesprochen, dass 72 Prozent der bayerischen Wähler Söders Entscheidung, Hubert Aiwanger im Amt zu belassen, für richtig hielten. Mir sei diese Größe so nicht bekannt, entgegnete ich und ergänzte: „Ich habe indessen gelesen, dass laut einer Umfrage 58 Prozent der Befragten die Söder-Entscheidung für richtig halten. Über den Wert und die Aussagekraft solcher Umfragen kann man wiederum geteilter Meinung sein.“
Das gelte im Übrigen auch für den erwähnten ehemaligen Lehrer Aiwangers: „Natürlich wundert man sich darüber, dass das Flugblatt 35 Jahre später und just vor einer Landtagswahl wieder aus der Versenkung hervorgeholt wird. Andererseits hat es einen Inhalt, über den man sicherlich nicht diskutieren kann.“
Abschließend ging ich auf die „journalistische Neutralität“ ein und wählte dabei die Worte der Journalistin und Autorin Rita Stiens, die einmal geschrieben hat: „Dass das Wort neutral nicht im Pressekodex vorkommt, hat einen guten Grund. Wer sollte der Schiedsrichter sein bei der Frage, ob ein Artikel neutral ist oder nicht? (...) Was der eine für ,neutral‘ hält, ist für den anderen alles andere als ,neutral‘. Wie sähe ein neutraler Bericht aus einer ein- oder zweistündigen Ratssitzung aus? Gäbe es so etwas wie Neutralität, müssten zwei oder drei Journalisten, die in einer Sitzung sitzen, am Ende nahezu identische Artikel schreiben mit nahezu identischer Überschrift. Ein Neutralitätsgebot für Medien gibt es nicht und kann es auch gar nicht geben. Journalisten tragen durch ihre Arbeit zum Prozess der Meinungsbildung bei, und genau das sollen sie auch.“
Der vollständige Beitrag erschien am 15. September auf Onetz.de.
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