Die große Zuckerfrage
von Gastautor
In Dänemark gibt es Ombudsleute nur bei Danmarks Radio, bei TV 2 und bei Politiken. Der ehemalige Leseranwalt der größten dänischen Tageszeitung berichtet von seinen Erfahrungen.
Das gibt’s doch nicht! In derselben Ausgabe von Politiken konnte man lesen, dass die Dänen „im Durchschnitt im Jahr 20 kg Zucker essen und trinken“ (Seite 6) und dass jeder Däne „58,3 kg Zucker im Jahr“ verzehre (Seite 18). Beides konnte nicht zugleich wahr sein, und die Leser beschwerten sich sofort. Als „Redakteur der Leser“, wie der Leseranwalt bei uns heißt, musste ich selbst nachrecherchieren. Die beiden Kollegen hatten eigentlich sauber gearbeitet. Eine Statistik vom Nordischen Rat war die eine Quelle, ein Gutachten aus der dänischen Landwirtschaft die andere. Das nationale Amt, Danmarks Statistik, arbeitet übrigens mit einer dritten Zahl: Hier war von 40 Kilogramm die Rede. Nach etlichen Telefonaten und einer Recherche im Internet musste ich feststellen, dass kein Mensch den genauen Zuckerverbrauch der Dänen kennt. Ein Institut beobachtet seit Jahren die Essensgewohnheiten einiger Familien. Hier kommt man auf 20 Kilogramm Zucker im Jahr. Ich neigte aber nach meinen Recherchen zu einer höheren Zahl.
Unabhängige Leseranwälte Bei Politiken gibt es seit dem Jahr 2001 einen Ombudsmann der Leser. Später wurden ähnlichen Stellen bei Danmarks Radio (mehrere Fernseh- und Rundfunkkanäle) und TV 2 eingerichtet. Die dänischen Ombudsleute sind allesamt unabhängig von den jeweiligen Chefredakteuren – bei Politiken konnte nur der Vorsitzende der Stiftung, die das Blatt verlegt, mich absetzen. Diese Funktion üben wir bei Politiken normalerweise zwei Jahre aus, mein Nachfolger aber hat schon seine zweite Amtszeits angetreten.
Die Praxis bei Politiken Täglich kann man auf Seite 2 des Politiken Korrekturen finden, und einmal in der Woche schreibt der Leseranwalt einen längeren Artikel, in dem er aktuelle Themen analysiert. Er entscheidet selbst, ob etwas korrigiert werden soll. Wir bemühen uns auch, Missverständnisse zu klären. Wir schreiben ja für die Leser, und wenn sie der Berichterstattung nicht folgen können, muss der Leseranwalt eingreifen.
Hohe Fehlerquoten Meistens haben die Leser Recht, wenn sie sich beschweren. Und die Journalisten machen immer wieder die gleichen Fehler – buchstabieren schlecht, übersetzen nicht ordentlich oder haben von Zahlen keine Ahnung. Auf meine Initiative hin haben Medienforscher die Fehlerquote von dänischen Medien untersucht. Alle Zahlen sind noch nicht veröffentlicht. Fest steht aber bereits, dass es Schlamperei gibt und dass diese nichts mit Geschlecht, Ausbildung und Erfahrung zu tun hat; auch sehr gute Journalisten machen Fehler. Die „Spitzenreiter“ bei Politiken haben beide eine akademische Ausbildung.
Regeln des Redaktionsstatuts Es kommt natürlich vor, dass der Chefredakteur und der Leseranwalt sich nicht einigen können. Deshalb ist im Redaktionsstatut vorgesehen, dass der Leseranwalt seine Meinung in seinen Artikeln frei äußern kann. Diese Meinung ist aber nicht verpflichtend für die Chefredaktion.
Übrigens: Wenn Sie die genaue Zahl des durchschnittlichen Zuckerverbrauchs in Deutschland kennen, höre ich gerne von Ihnen.
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