Ein freches Foto und die Gürtellinie
von Gastautor
Aus drehscheibe 08/2019
Ein Foto, erschienen zu einer Ankündigung im Kulturkalender der Main-Post, empfindet Leser T. G. als „geschmacklos, peinlich, primitiv“. Es wolle Aufmerksamkeit erregen, falle aber „nicht unter die häufig strapazierte künstlerische Meinungsfreiheit“, sondern gehe „eindeutig unter die Gürtellinie“. Diese Kritik bedarf einer erklärenden Erwiderung.
Zuvor sei jedoch beschrieben, was auf jenem Bild zu sehen ist: Ein in die Kamera blickender Mann, der sich gerade anschickt, einer Dame in ihren Hintern zu kneifen. Hinzugefügt sei: Beide Personen sind vollständig bekleidet. Das zweifellos freche Foto illustriert eben die Ankündigung einer Komödie in einem hiesigen Theater.
Zurück zur „künstlerischen Meinungsfreiheit“, die aber tatsächlich meist unter „künstlerischer Freiheit“ zitiert wird. Wie auch immer: Sie ist Teil der in Artikel 5 (Abs. 3) grundgesetzlich geschützten Kunstfreiheit. Meinungsfreiheit, die hat bekanntlich jede Person in unserem Lande. Sie gilt also keinesfalls alleine für das Kunstschaffen. Spezielle Freiheiten Kunstschaffender finden sich in der Rechtsprechung sehr weitreichend beschrieben, sind nicht an gesellschaftliche Zwänge gebunden. Bei „künstlerischer Freiheit“ spricht man vom Vorrecht der Künstler, von der Wirklichkeit abzuweichen, wenn es die künstlerische Wirkung des Werkes erfordert. Einschränkungen könnte es geben, würde die persönliche Ehre grob verletzt. Letzteres ist bei der fotografierten Bildszene aus dem Theater nicht der Fall, selbst wenn man sie (aus feministischen oder sittlichen Gründen) als „anstößig“ empfinden mag. Trotzdem liegt nicht in allem, was von Kunstfreiheit geschützt ist, eine Empfehlung, es im Alltag nachzuahmen. Das vorliegende Bild sei warnendes Beispiel.
Kunst griffig zu definieren, wie es Juristen gewöhnlich tun müssen, ist schwierig. Das Ergebnis könnte freier schöpferischer Gestaltung als Wesen der Kunst entgegenstehen, denn das entwickelt sich stetig weiter. Es ist aber klar, das beschriebene Foto fällt unter die grundgesetzlich gesicherte Kunstfreiheit. Die schützt übrigens auch Werbung für Kunstwerke, ohne dass diese selbst künstlerischen Ansprüchen genügen muss. Darin steckt keine Bewertung des beschriebenen Bildes. Die Leiterin des Theaters hat das auffällige Bild aus einer Szene der Komödie selbst aufgenommen. Es fügt sich also in deren Handlung, die laut Rezension „augenzwinkernd (auch) auf eingerostete Denkschubladen anspielt“. Die Aufnahme entstand bei einer speziellen Fotoaufführung.
Die Leiterin erwähnt, in einer Folgeszene der heiteren Aufführung erfolge das Kneifen umgekehrt. Sie erklärt, sie empfände Feminismus zuweilen als „zu spaßentleert“. Bei aller Ernsthaftigkeit bei dem Thema würde sie sich oft mehr Humor wünschen. Zweifellos, das füge ich hinzu, hätte man auch ein anderes Foto für die Vorankündigung auswählen können. Aber das vorliegende ist ebenso zulässig, denn Geschmacksgrenzen werden sehr individuell gezogen. Allgemein verbindliche Grenzen für guten oder schlechten Geschmack finden sich auch nicht im Pressekodex des Deutschen Presserates. Sie lassen sich bestenfalls aus den Ziffern 8 bis 12 ableiten.
Leser T. G. bittet um Verständnis für seine Kritik und empfiehlt dem Leseranwalt, er solle auf Werbung für Theaterstücke auch ein sorgsames Auge haben. Ja, beides habe ich. Umgekehrt bitte ich Herrn T. G. aber um Verständnis, dass ich seine Wertung („unter der Gürtellinie, geschmacklos“ etc.) seiner persönlichen Meinung zuordne, die ich im vorliegenden Fall aber nicht teile. Ich wiederhole: Ob etwas unter der Gürtellinie liegt, ist meist eine sehr individuelle Entscheidung.
Eine Empfehlung von der Leiterin des Theaters gebe ich gerne an Herrn T. G. weiter: Er möge doch die heitere Komödie besuchen, um danach über seine Bewertung noch einmal nachzudenken. Auch weil es um Kunst und eine Erklärung geht, nehme ich in Kauf, dass diese Kolumne auch werbend für die Komödie wirken kann.
Der Beitrag erschien am 31. Mai 2019 auf Mainpost.de
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