Ein Kommentar sorgt für Ärger
von Gastautor
Aus drehscheibe 02/2022
Einen Artikel über neue Corona-Maßnahmen hatte ein Kollege unter anderem so kommentiert: „Die Wut wird täglich größer. Und die Angst. Das kollektive Versagen der Politik in der Pandemie wird immer offenkundiger. Ebenso das Unverständnis für die ungeimpfte Betonschädel-Fraktion.“ Die Gesellschaft, so hieß es dann weiter in diesem Meinungsbeitrag, „zahlt jetzt einen extrem hohen Preis für die Spritzenverweigerer. (...) Wer immer noch an der Wirksamkeit der Corona-Impfung zweifelt, handelt böswillig“.
Es war vorherzusehen, dass dieser Kommentar manchem Leser nicht gefallen würde. So kündigte ein Leser deshalb sein Abo und teilte mit, dass er zum Thema Corona eine kritische Berichterstattung vermisse. Vor allem die Kommentare würden die politischen Entscheidungen eher gutheißen. Das habe nun darin gegipfelt, dass Impfskeptiker als „Betonköpfe“ bezeichnet worden seien. „Ich glaube nicht, dass es Ihrem Blatt zusteht, diese Wortwahl zu gebrauchen“, befand der Leser. Auch ein anderer Leser kündigte sein Abo wegen des Vorwurfs, dass Ungeimpfte Betonköpfe seien.
Nun ist der Kollege, der diese Reaktionen bei einigen Lesern hervorgerufen hat, in seinen Kommentaren stets ein Freund der deutlichen Worte. Zunächst will ich betonen, dass ein Kommentar ausschließlich die Meinung des Verfassers wiedergibt, also weder die der Redaktion noch die des Verlags, so wie es das Wesen eines Meinungsbeitrags ist. Dieser darf auch einseitig sein. Ebenso ist es legitim, provokant zu formulieren, zu überspitzen. Denn wenn Journalisten einen Kommentar schreiben, wünschen sie sich, dass sich die Leser mit den im Text enthaltenen Ansichten auseinandersetzen. Sie können sie teilen oder ablehnen – aber sie sollten vor allem eines: sich eine eigene Meinung bilden. Ein Kommentar, der den Standpunkt des einzelnen Journalisten verdeutlicht, ist eines der wichtigsten Instrumente der täglichen Arbeit einer Redaktion. Er ergänzt ein Thema um die Gedanken und Eindrücke des Autors und will, wie bereits erwähnt, zum Nachdenken und zur Diskussion anregen. Damit trägt ein Kommentar zur öffentlichen Meinungsbildung bei. Meinungsbeiträge in den Medien sind übrigens durch Artikel 5 des Grundgesetzes geschützt. In ihm heißt es unter anderem: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten.“
Damit zurück zum von Lesern kritisierten Kommentar des Kollegen aus der Zentralredaktion. Wen meint er, wenn er von der „ungeimpften Betonschädel-Fraktion“ spricht? Nur Leute, die in Sachen Corona verharmlosen und alles infrage stellen? Oder alle Ungeimpften? Die Formulierung halte ich persönlich für ungenau, unglücklich und pauschalisierend. Gibt es doch zum Beispiel Menschen, die sich aus medizinischen Gründen nicht impfen lassen können. Sie ebenfalls als Betonköpfe zu bezeichnen, wäre nicht in Ordnung.
Den Begriff „Betonkopf“ jedoch empfinde ich grundsätzlich nicht als beleidigend. Laut Duden ist ein Betonkopf ein „völlig uneinsichtiger, auf seinen (politischen) Ansichten beharrender Mensch“.
Übrigens: Selbst abwertende und wegen ihrer Form erheblich kränkende Formulierungen sieht die Rechtsprechung im Meinungskampf als erlaubt an, vorausgesetzt, sie haben zum Gegenstand der Auseinandersetzung „Sachnähe“. „Dann handelt es sich um übertreibende, griffige, einprägsame Formulierungen, die nicht wörtlich genommen werden wollen, aber leicht erkennen lassen, in welche Richtung die Vorwürfe gehen“, so steht es im Online-Lexikon Presserecht der Initiative Tageszeitung.
Dieser Text ist eine gekürzte Version des Originalartikels aus der Zeitung Der neue Tag.
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