Leseranwalt

Enormes Vertrauen

von

Aus drehscheibe 05/2020

Seit mehr als fünf Jahren nehme ich mich als Redakteur bei der Lippischen Landes-Zeitung (LZ) der Sorgen und Probleme von Lesern an. Ich bin Leseranwalt: „Kamisli kümmert sich“ heißt die Reihe. Versehen mit meinem Konterfei erscheint sie regelmäßig in der Zeitung, online und in den sozialen Medien. In einer Mischung aus Recherche, Verbraucherschutz, Mediation und manchmal sogar Seelsorge gehe ich die Probleme der Menschen an, die sich an mich wenden. Seien es Ärger wegen des Unterrichtsausfalls an der Schule oder demolierte Autos nach einem Besuch der Waschstraße oder Beschwerden von Lesern, die wegen Platzmangels auf Klinikfluren geparkt werden – ich versuche eine Lösung zu finden. Und so besuche ich Beschwerdeführer, prüfe Vorwürfe, rufe bei Ämtern und Behörden an, konfrontiere die entsprechenden Stellen mit den Sorgen und Nöten meiner Leser. Das heißt, ob es wirklich meine Leser sind, weiß ich gar nicht. Ich kontrolliere natürlich nicht, ob die Leute ein Zeitungsabo habe

Hier ein paar Beispiele:

Blinde Frau wird aus Supermarkt geworfen

Eine blinde Frau traut ihren Ohren nicht: Als sie in einem Detmolder Supermarkt einkaufen will, verbietet ihr der Geschäftsführer, ihren Blindenhund Rita aus
hygienischen Gründen mit in den Laden zu nehmen. Nach einem Anruf der LZ rudert die Supermarktkette zurück, die Sehbehinderte darf dort wieder in Begleitung ihres Vierbeiners einkaufen.

Schüler und Eltern beklagen Fehlstunden

Wochenlang kein Unterricht in Leistungs- und Grundkursen – Schüler und Eltern beklagen den Unterrichtsausfall und sehen das Abitur in Gefahr. Erst als die LZ nachhakt, werden an der Schule zusätzliche Angebote in Mathematik und Deutsch unterbreitet.

Überstehende Gullydeckel als Stolperfalle

Eine 77-jährige Rentnerin stolpert über einen überstehenden Gullydeckel auf dem Bürgersteig und verletzt sich schwer. Die Stadt ignoriert den Wunsch der Verletzten und der Nachbarn nach Überprüfung der überstehenden Kanalabdeckungen, bis die LZ interveniert. Anschließend werden die Bürgersteige kontrolliert, überstehende Gullydeckel, die als Stolperfalle infrage kommen, abgesenkt, und die Stadt entschuldigt sich bei der Frau mit einem Gutschein samt Blumenstrauß.

Zwischenfazit

Das Konzept funktioniert. Inzwischen werden wir von Polizei, Behörden und Bürgermeistern empfohlen. Die Erfolgsquote liegt bei 80 Prozent – auch weil ich in
zähen Fällen immer wieder nachhake. Die Arbeit an der Reihe ist, auch weil ich noch andere Aufgaben habe, recherche- und zeitintensiv. Und sie erfordert Einfühlungsvermögen. Manchmal stehen Leute ohne Terminabsprache vor der Tür. Die kann ich ja nicht wegschicken. Sie kommen mit ihren Sorgen und manchmal auch mit ganzen Aktenordnern und wollen alles mit mir durchgehen. Dann bin ich plötzlich mittendrin im Leben von Menschen, die ich vorher nicht gekannt habe – das Vertrauen der Leser ist enorm und rührend.

Nicht immer enden die Geschichten bei „Kamisli kümmert sich“ erfolgreich, ein Anruf bei mir in der Redaktion ist keine Garantie für ein Happy End. Die Recherche kann einige Tage dauern. Dies ist nicht immer leicht für die Betroffenen, die ungeduldig auf neue Nachrichten in ihrem Fall warten. Ich mache schon im ersten Gespräch darauf aufmerksam, dass aus Gründen der Fairness vor einer Veröffentlichung alle Beteiligten zu Wort kommen müssen, um eine Lösung zu finden, mit der alle Beteiligten leben können.

Einen nicht zu unterschätzenden Vorteil hat mein Kümmerjob: Ich habe immer Schokolade da, gestiftet von Lesern, denen ich helfen konnte. Kollegen, die etwas Süßes brauchen, kommen alle zu mir.

 

Erol Kamisli ©Bernhard Preuß

Autor

Erol Kamisli ist Leseranwalt der Lippischen Landes-Zeitung.

Telefon 05231 – 91 11 51
E-Mail e.kamisli@lz.de

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