Leseranwalt

Faktencheck im Klassenzimmer

von

Aus drehscheibe 2/2019

Qualitätsmedien tun gut daran, dem Publikum in Zeiten einer unüberschaubar ausufernden Internetwelt zu erklären, warum es sich lohnt, verlässliche Nachrichten zu beziehen. Nachrichten, für deren Richtigkeit mindestens zwei Quellen bürgen können und für die gut ausgebildete Journalisten recherchiert haben. Und, ganz wesentlich: Nachrichten, deren Quellen klar und nachvollziehbar benannt werden. Das muss besonders betont werden in Zeiten, in denen in sogenannten sozialen Netz werken jede noch so ungeprüfte Erregung inzwischen Leserzahlen erzielt, von denen früher Chefredakteure und Verleger nur hätten träumen können.

Umso wichtiger wird es, dass vor allem Jugendliche nicht der digitalen Überforderung überlassen werden. Denn Schul-Lehrpläne hinken hinter der Entwicklung der Wo-immer-ich-bin-Nachrichten auf dem Smartphone hinterher, und junge Menschen lassen sich oftmals von rasch geteilten, getwitterten, per WhatsApp gesendeten, auf YouTube und anderen Portalen weiter verbreiteten, aber eben ungeprüften News überzeugen. Was erst einmal auf dem Display flimmert, wird allzu leicht geglaubt. Anschauliches und trauriges Beispiel: Am 22. Juli 2016, einem Freitagabend, war ganz München in Panik, als ein junger Attentäter neun junge Menschen und sich selbst am und im Olympia-Einkaufszentrum erschoss. Lange war die Situation unklar, die Polizei sperrte Straßen, U-Bahnen, viele Menschen kamen in jener Nacht nicht mehr nach Hause, krochen bei spontanen Gastgebern unter. Ausnahmezustand. Durch die auf Twitter, Facebook und WhatsApp erzeugte Panik wurden in jener Nacht aus einem einzigen wirklichen Tatort nicht weniger als 67 „Tatorte“. Mal hieß es, am Münchner Stachus gebe es nun Schüsse, mal war von einer Explosion im Hofbräuhaus die Rede. Manche TV-Sender fischten solche ungeprüften Botschaften heraus – und tippten das als vermeintlich echte Nachrichten in Textlaufbänder ihrer aktuellen Sendungen.

Über so etwas sprechen rund sechzig meiner Kolleginnen und Kollegen von der Süddeutschen Zeitung regelmäßig mit Schulklassen. Wir nennen dieses Format „SZ-Werkstattgespräche“, und es geht dabei immer darum, dass Journalisten erklären, wie seriöse Redaktionen arbeiten und worauf Leser, Hörer, Zuschauer und User selbst achten sollten.

Wir arbeiten dabei auch mit anschaulichen Fällen und Beispielen für Fake News, etwa einem Facebook-Post, der das Foto einer verschleierten Muslima neben einem stattlichen Mercedes zeigt, vor der Essensausgabe der Tafel in Landau/Pfalz. Das Foto wurde mit gehässigen, migrantenfeindlichen Kommentaren verbreitet, es ist echt. Nur der konstruierte Zusammenhang nicht. Denn wie ein ARD-„Tagesschau“-Journalist direkt bei der Landauer Tafel recherchierte, zeigte es eine türkischstämmige Frau, die sich nicht etwa bei der Tafel selbst bediene, sondern eine gehbehinderte deutsche Seniorin ehrenamtlich zu jener Tafel chauffiert. Bei Schülern führt dieses Beispiel immer zu einem gewaltigen Aha-Effekt. Der ARD-Kollege hat nachgefragt, recherchiert – besser kann man den Unterschied zwischen Nachrichten-Wildwuchs und redaktioneller Qualitätsarbeit kaum illustrieren.

Das macht Eindruck in Schulklassen. Bei rund 200 (freiwilligen) Besuchen haben engagierte SZ-Kolleginnen und -Kollegen im vergangenen Schuljahr vor insgesamt 260 Klassen in und um München vieles erklärt, haben Fragen beantwortet und erzählt, mit welchen Standards wir arbeiten. Und auf welche Standards sie, die Schüler, bei ihrer Nachrichtenlektüre achten sollten. Das lohnt sich, weil es wichtig ist, dass auch Jugendliche den Wert von Nachrichten und Qualitätsmedien einschätzen können.

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Gemeinsam mit seinem SZ-Kollegen Klaus Ott hat Thomas Soyer Unterrichtsmaterialien zur Medienbildung  zusammengestellt.
Hier kostenlos abrufbar: www.bit.ly/soyer-sz-medienbildung

Thomas Soyer

Autor

Thomas Soyer ist Community Editor und Leserredakteur der Lokalredaktion der Süddeutschen Zeitung.

Mail: thomas.soyer@sueddeutsche.de
Telefon: 089 – 218 34 88

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