Früher gab’s weniger Bilder
von Gastautor
Aus drehscheibe 12/2024
Ein finster dreinblickender Donald Trump gleich auf vier Zeitungsspalten, das Bild 45 Zeilen hoch. Zwei Seiten zuvor der an einem Baumstamm lehnende Gesellschafter und Geschäftsführer Stefan Ziegler, ebenfalls auf vier Spalten und sogar 49 Zeilen hoch. Die beiden Fotos erschienen in der Wochenend-Ausgabe vom 1./2. Juni und gehörten zu zwei längeren Artikeln. Die Bilder riefen bei Leser Wilhelm G. eine Reaktion hervor.
Er schrieb: „An diesem Samstag ist mir wirklich ins Gesicht gesprungen, wie nachlässig die Information wird. Stefan Ziegler wird in einem übergroßen Bild präsentiert, ebenso wie Donald Trump. Wollt oder könnt ihr nicht mehr Informationen in Schrift wiedergeben? Wird nur noch versucht, irgendwie die Zeitung voll zu kriegen? Wie lange wird das wohl noch gut gehen?“
Kritik ist durchaus erwünscht, denn sie hilft uns weiter beim Blick auf unsere eigene Arbeit, antwortete ich Wilhelm G. und teilte ihm mit, wie ich die Sache sehe: „Bilder sind Bestandteil der Berichterstattung, ihre Bedeutung ist in den vergangenen Jahren weiter gestiegen. Sie sind ein wichtiger und unverzichtbarer Faktor, um Leser auf eine Seite zu ,locken‘ und sie für Texte zu interessieren. Es ist in vielen Fällen sicherlich schwierig zu entscheiden, wie groß ein Bild sein darf oder muss. Nie kann man darauf hoffen, dass alle Leser mit dem Ergebnis einverstanden sind. Früher waren auf einer Zeitungsseite eher mehrere kleine Bilder zu finden, heute aber arbeiten Redaktionen oft mit einem einzigen großen Bild auf einer Seite. (...) Was die Fotos von Ziegler und Trump angeht, gebe ich Ihnen Recht. Die hätten es kleiner auch getan. Dann wäre am unteren Ende der Seiten auch noch Platz gewesen für weitere Artikel. Und damit für mehr Information in Textform.“
In einem Interview zum neuen Layout eines Stadtanzeigers sagte der deutsche Zeitungsdesigner Norbert Küpper, der den europäischen Zeitungswettbewerb European Newspaper Award veranstaltet: „Wir wollen auf jeder Seite oben ein großes Bild haben. Andere Bilder sollen kleiner sein. Dadurch wird man als Leser automatisch auf den Startpunkt der Seite geführt – nämlich nach oben. Die Bilder sollen aber auch nicht zu groß werden, weil sonst der Eindruck entsteht, dass Text fehlt. Diese Erkenntnisse habe ich bei Leseforschungs-Projekten gewonnen.“
Prof. Dr. Sonja Kretzschmar vom Institut für Journalistik der Bundeswehr-Universität München sagte vor einiger Zeit, dass bei der Selektion der Reize das Bild Priorität habe: „Bild schlägt Wort.“ Denn Fotos auf der Zeitungsseite „sind das, wo die Menschen zuallererst hingucken“. Fotos könnten auch extrem starke Reize auslösen: Jeder kenne diese „eingebrannten Bilder“, wie die vom 11. September 2001, als Flugzeuge in die Türme des World Trade Centers in New York flogen.
Laut Kretzschmar liefern Bilder einerseits zusätzliche Informationen zum Text und erzeugen andererseits das Gefühl, ein Ereignis miterleben zu können. Außerdem können Bilder Gefühle und Stimmungen eindrücklicher produzieren als Texte. Sie dienen dazu, relevante Hauptpersonen und Objekte abzubilden und Inhalte zu veranschaulichen.
Der Beitrag erschien zuerst in der Zeitung Der neue Tag. Er wurde redaktionell bearbeitet und gekürzt.
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