Leseranwalt

Für mehr Ehrlichkeit und Transparenz

von

Aus drehscheibe 14/2024

20 Jahre lang war ich Leseranwalt der Main-Post. Seit 2004 habe ich ihre Leserinnen und Leser als Medien-Ombudsmann dazu aufgerufen, den Ärger über ihre Tageszeitung bei mir abzuladen.

Viele hatten das Gefühl, die zuständige Redaktion würde sie nicht verstehen: etwa wegen viel zu vieler Fehler, einseitiger politischer Berichte, schräger Schilderungen des lokalen Geschehens oder bei ungewohnten Zeiterscheinungen wie dem Umgang mit Corona. Doch auch Zustellungsprobleme und kritikwürdige Werbeanzeigen wurden für mich zu Themen. Beschwerden gingen über das hi­naus, was der Pressekodex regelt. Anlässe, die für Ärger sorgten, fanden sich immer.

Meine Bilanz nach zwei Jahrzehnten und rund 1.000 Kolumnen: Die Leser wollen gehört und verstanden werden. Dann nehmen sie auch Klärungen und Erklärungen an, die weit in den redaktionellen Arbeitsprozess hinein reichen, selbst wenn sie am Ende nicht Recht bekommen. Nicht gut ist es, gegen jede Forderung oder Kritik gleich die Pressefreiheit als Argument einzusetzen. Das schadet ihr und verbraucht ihre Wirkung.

In allen Kontroversen kommt es auf Kritikfähigkeit an. Ohne sie scheitern Journalisten im Umgang mit ihrer Leserschaft und verpassen die Chance, besser zu werden. Durch Kritikfähigkeit können Vorurteile ausgeräumt werden, vorausgesetzt, sie ist ehrlich gemeint. Marketingsprache hingegen verschärft Konflikte. Doch klar ist: Es nutzt wenig, wenn die Redaktion ihrem Publikum nicht beweist, dass sie auf Kritik eingeht.

Redaktionen können Pluspunkte sammeln, wenn sie unterschiedliche Ansichten oder Zweifel einzelner Mitarbeiter in Veröffentlichungen offenbaren. Stärke zeigt sich in Bekenntnissen zu Schwächen. Selbstreflexion wird zur Tugend. Der Applaus, den sie mit sich bringt, hat nicht nur der Redaktion, sondern auch mir als Leseranwalt gutgetan.

In der Main-Post erkenne ich online und gedruckt zunehmend mehr Bemühen um Transparenz. Immerhin: Laut einer Umfrage der Universität Leipzig von 2022 würde eine Mehrheit unserer Redakteure Ombudsleute auch anderen Medien empfehlen. Ich tue das ständig. Denn vielen Häusern mangelt es an Ehrlichkeit in eigener Sache. Sie ist aber bitter notwendig, um glaubwürdig zu sein und mehr Vertrauen bei den Lesern zu schaffen.

Es gibt leider nur wenige Ombudsleute. Dabei können sie durch ihre Erfahrungen zum Gewissen von Redaktionen werden und so zu mehr journalistischer Selbstreflexion beitragen. Wann und wie dies auch journalistisch angemessen zu vermitteln ist, hat uns jedoch niemand gelehrt. Auch bei mir selbst ist der Lernprozess unvollendet. Deshalb fordere ich, dass Journalisten bereits in der Ausbildung lernen, in ihrer Arbeit transparent zu sein. Transparenz muss zur wertvollen Begleiterin des Journalismus werden, ohne sich zu sehr in den Vordergrund zu drängen. Sie dokumentiert Systemrelevanz und ist die Tür zur Glaubwürdigkeit.

Anton Sahlender war viele Jahre Mitglied der Chefredaktion und Leseranwalt der Main-Post. Außerdem war er Vorsitzender der Vereinigung der Medien-Ombudsleute VDMO.

Anton Sahlender

Autor

Anton Sahlender ist Jury-Mitglied des Journalistenpreises MedienSpiegel, der Transparenz und Selbstreflexion auszeichnet.

Telefon: 0170 – 836 28 80

E-Mail: sahlenderanton@gmail.com

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