Ihre Lebensberatung
von Gastautor
Astrid Volk ist Leseranwältin der Neuen Presse Coburg. Leser wollen sich bei ihr nicht nur über die Zeitung beschweren, sondern auch mit privaten Nöten ernst genommen werden.
Im April 2011 habe ich die Aufgabe der Leseranwältin in der Neuen Presse Coburg übernommen. Meine Telefonnummer und Mailadresse werden regelmäßig im Print und online veröffentlicht. Anregungen und Beschwerden der Leser nehme ich mit in die tägliche Redaktionskonferenz, wo sie diskutiert werden.
Bei mir laufen alle Leserbriefe zusammen, die an die vier Ausgaben der Neuen Presse geschickt werden. Meine Kolumne „Auf ein Wort“, in der ich von meinen Leserkontakten erzähle und allgemeine Fragen rund um das Thema Presse reflektiere, erscheint wöchentlich. Gemeinsam mit dem Redaktionsleiter spreche ich im Vierteljahresrhythmus mit den acht Mitgliedern des Leserbeirates über die Qualität der Zeitung, und dann gibt es ja auch noch die „ganz normale“ Redaktionsarbeit, das Wahrnehmen von Terminen, die Reportage.
Wer ein Anliegen hat, kann sich an mich wenden, und nicht nur, wenn er sich über die Zeitung ärgert. Die Versicherung zahlt nicht? Ein Anruf kann helfen und die Dinge geraten in Bewegung. Ich geleite Leser durch den Behördendschungel und stille ihre Neugierde mit Hilfe von Experten. „Muss ich meinen Rasentraktor versichern?“ „Mein Untermieter terrorisiert mich, was kann ich tun?“ „Gibt es mehr Bäume oder mehr Menschen auf der Welt?“ Die Neue Presse recherchiert, veröffentlicht das Ergebnis als „Frage zum Tage“, und der Leser fühlt sich in guten Händen.
Darf ich Ihnen mein Testament vorlesen?
Manchmal erreicht man dies auch durch einfaches Zuhören. Die Leseranwältin als Lebensberaterin und Mitdenkerin – auch das wünschen sich Leser. Man erfährt am Telefon von der Einsamkeit im Alter, von Eltern in Gewissensnöten und Nachbarschaftsfehden. Das Vertrauen, das Menschen bereit sind, in den Leseranwalt zu investieren, ist enorm. „Darf ich Ihnen mal mein Testament vorlesen? Ich möchte wissen, was Sie davon halten.“ Das darauffolgende, sehr intensive Gespräch dauert fast 20 Minuten. Der Leser erzählt mir von seiner Familie, denkt laut über die Zukunft nach, wir spielen gemeinsam die verschiedenen Möglichkeiten durch. Am Ende rate ich ihm, sich zusätzliche Unterstützung durch einen Rechtsanwalt zu suchen
Kein Satz davon erscheint in der Zeitung. Trotzdem war es keine verschenkte Zeit, denn der Mann legt auf mit der Gewissheit, ernst genommen worden zu sein. Er wird in seinem Bekanntenkreis von seinen positiven Erfahrungen mit der Neuen Presse berichten.
Mein Fazit bislang: Die Sehnsucht der Leser nach direkter Kommunikation mit „ihrer“ Zeitung ist groß. Diese zu stillen, bereichert die Redaktionsarbeit ungemein.
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