Klassentreffen in Kapstadt
von Gastautor
Aus drehscheibe 10/2024
Es gibt viele Länder, für die Pressefreiheit ein Wunschtraum ist. Und viele Länder, die sich auf den Weg gemacht haben, sie zu erreichen. Eines der Länder Afrikas, bei denen die Lage von „Reporter ohne Grenzen“ als zufriedenstellend eingeschätzt wird, ist Südafrika. Dort, in Kapstadt, traf sich im Mai die ONO – Organization of News Ombudsmen and Standards Editors – zur Jahrestagung. Dieses große Treffen der Leseranwälte, Leserredakteure und Ombudsleute findet jedes Jahr an einem anderen Standort, auf einem anderen Erdteil statt.
Staatliche Einflüsse abzuwehren und die Pressefreiheit zu verteidigen, das beschäftigt in diesen unruhigen Zeiten auch Journalisten, die in ihren Ländern Gefahren für die eigene Arbeit lange für undenkbar bis unmöglich hielten. Margo Smit, die ONO-Präsidentin und Ombudsfrau in den Niederlanden, weiß das aus eigener Erfahrung. Der Rechtsruck in vielen Regierungen, das zunehmende Aufkommen von autokratischen Tendenzen selbst in gefestigten Demokratien machen nachdenklich.
Bernard Ngoepe, ehemals Verfassungsrichter in Südafrika, ist der Vorsitzende des South Appeal Panels des Afrikanischen Presserats. In einer Grundsatzrede beim ONO-Kongress setzte der 75-Jährige Maßstäbe: „Es gibt nur einen Weg, den Druck zur staatlichen Regulierung abzuwehren: Er besteht darin, einen wirksamen und glaubwürdigen Selbstregulierungsmechanismus zu haben.“
Selbstregulierung der Medien, die Einmischung des Staates und der Schutz der Meinung, der freien Rede und der Medienschaffenden wurden in vielen Vorträgen und Panels erörtert. Genauso wie die Chancen, aber auch die Gefahren, die die künstliche Intelligenz (KI) mit sich bringt. Wann ist Arbeit nicht mehr menschengemacht? Wenn die KI einfach einen Text übersetzt, die Stimme des Sprechers übernimmt – auch wenn die KI eine Übertragung so „faked“, dass ein Moderator gar in einer Sprache spricht, die er nie gelernt hat? Viele Fragen sind offen, auch was Regeln und ethische Standards anbetrifft. So nahm Pierre Champoux, Ombudsman von CBS/Radio Canada, die Anwesenden auf eine unterhaltsame Reise der virtuellen Möglichkeiten mit, die viele ratlos zurückließ.
Im Mai 2024 wurde das Network of Independent Media Councils in Africa (NIMCA) gegründet. Das Ziel von NIMCA ist es, „die Selbstregulierung als Eckpfeiler freier, professioneller und glaubwürdiger Medien in einer sich wandelnden Kommunikationslandschaft zu fördern, in der soziale Medien in die Verbreitung unethischer und minderwertiger Inhalte verwickelt sind“. Dabei geht es darum, ein schlagkräftiges panafrikanisches Netzwerk für Selbstregulierungsorgane zu bilden. Die Afrikaner nutzten die Gelegenheit, sich mit Kolleginnen und Kollegen aus Europa, Nord- und Südamerika, Australien oder Japan auszutauschen.
Für die HCSB-Mediengruppe nahm ich an der ONO-Tagung in Kapstadt teil. Die Frankenpost in Hof, die zur Gruppe gehört, ist schon lange Mitglied in der ONO. Auf dem Panel „Why don’t jounalists know their own ethical codes?“ (Warum kennen Journalisten ihre eigenen ethischen Grundsätze nicht?), das Elisabeth Ribbans vom Guardian moderierte, war zugleich mit mir Dr. Marenet Jordaan von der Universität Stellenbosch mit auf dem Podium. Viele Klicks und ein gutes journalistisches Handwerk sind keine Gegensätze, fanden wir beide, ethische Standards sollten weiter für Qualität sorgen. Ich begann meinen Vortrag mit dem Hinweis, dass Presserecht in Deutschland aus historischen Gründen Ländersache ist. Der Hinweis auf den Föderalismus machte die afrikanischen Kollegen hellhörig. Förderalismus, so die überwiegende Meinung der Mitglieder des Afrikanischen Press Councils, könnte auch in Afrika ein wirksames Mittel sein, um Eingriffe seitens des Staates in die Pressefreiheit zu vermeiden.
Da die Konferenz kurz vor den Wahlen in Südafrika stattfand, standen natürlich auch Themen wie Wahlbeobachtung, Medienberichterstattung und Desinformation auf dem Programm. Dabei berichteten etwa William Bird von Media Monitoring Africa (MMA) und Prof. Herman Wasserman vom Department of Journalism der Universität Stellenbosch nicht nur, dass Desinformation zunimmt, sondern sie stellten auch Möglichkeiten vor, wie Falschinformationen bekämpft werden können. Hier kann die KI von großem Nutzen sein.
Ein bunter Strauß sehr aktueller Themen: die Berichterstattung, die Ausgewogenheit und das Wording bei Kriegen und Krisen wie Ukraine/Russland oder Israel/Hamas, Wissenschaft oder die Regulation bei großen digitalen Themen, all das machte die ONO-Tagung wieder zu etwas Besonderem. Theorie und Praxis können sich dabei austauschen. Und am Ende war klar: Auch wenn die Einflüsse von außen zunehmen, in vielen Häusern Sparzwänge herrschen und künstliche Intelligenz in Redaktionen einzieht, wird das die Ombudsleute nicht überflüssig machen. Ihre Rolle ist wichtiger denn je.
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