Kritik an denen, die immer kritisieren
von Gastautor
Aus drehscheibe 08/2022
Sind Journalistinnen und Journalisten kritikfähig? Darüber lässt sich trefflich streiten. Blicken wir auf den umstrittenen Abgang des Fußballers Toni Kroos aus dem Live-Gespräch mit dem ZDF-Journalisten Nils Kaben direkt nach dem Champions-League-Finale Ende Mai, das Kroos mit Real Madrid gegen Liverpool gewonnen hat.
Kroos ließ Kaben nach einer Frage, die ihm offenbar nicht gefallen hatte, einfach mit den Worten stehen: „Also, du hattest 90 Minuten Zeit, dir vernünftige Fragen zu überlegen, ehrlich. Und dann stellst du mir zwei so Scheiß-Fragen.“
Wie kritikfähig sind wir?
Die Debatte, die nach diesem viel beachteten Interview geführt wurde, drehte sich um etwaige moralische Pflichten eines Fußball-Multimillionärs, journalistische Fragen professionell zu beantworten, gerade wenn sie ihm unliebsam sind oder er sie für fachlich verfehlt hält. Wir wollen den Fall „Kaben-Kroos“ aber eher zum Anlass nehmen, nach der Kritikfähigkeit von Journalistinnen und Journalisten zu fragen. „Sobald es um die eigene Verantwortung geht und darum, sich selbst zu hinterfragen, verschanzt er (der Medienbetrieb) sich hinter den Gesetzen des Marktes: ‚Wir bringen doch nur das, was die Leute wollen‘.“ Das schrieb Kai Schächtele einmal im Online-Magazin „Übermedien“ unter dem Titel „Journalisten können nicht so weitermachen wie bisher“. Das war sehr grundsätzlich, auch wenn der Zusammenhang ein anderer war.
Derzeit gehen Medienschaffende davon aus, dass es ganz besonders für Beiträge spricht, wenn sie von vielen Menschen konsumiert werden. Das ist schließlich messbar. Dabei sagen Nutzungszahlen kaum etwas darüber aus, wie die Veröffentlichung auf Leserinnen und Leser tatsächlich wirkt, wie ihre Wahrnehmung oder die einer Mehrheit ist. Das zu untersuchen ist schwierig. Bereits im Jahr 2013 bemängelte die Professorin Susanne Fengler nach einer „MediaAct“-Studie ein geringes Pflichtbewusstsein von Journalistinnen und Journalisten gegenüber Rezipientinnen und Rezipienten. 95 Prozent der befragten Journalisten fühlten sich damals zunächst ihrem eigenen Gewissen verpflichtet. Leser, Zuschauer oder Hörer kamen erst an vierter Stelle.
Mäßig war auch das Echo unter den deutschen Journalisten auf die Frage, ob ausreichend auf Publikumsbeschwerden reagiert werde oder Debatten über Qualität davon befördert würden. Verantwortlich fühlten sich die befragten Journalistinnen eher gegenüber ihren Quellen als gegenüber dem Publikum.
Kritik an allem
Dabei kritisieren Journalisten Tag für Tag Politiker, Leute aus der Wirtschaft, Funktionäre oder Künstler. Wer das professionell tut, sollte sich selbst ebenfalls einer förderlichen Kritik stellen können. Das gilt es, intern in Redaktionen sicherzustellen. Doch nur ein Viertel der damals Befragten hat des Öfteren auch Beiträge von Kollegen beanstandet. Mehr als ein Drittel der deutschen Journalisten tut das nur selten oder nie.
So bleiben oft nur Reaktionen von Rezipienten, die den Redaktionen etwas über die Wirkung ihrer Arbeit sagen. Das kann aufschlussreich sein, wenn die Kritik nachvollziehbar ist und wenn sich die Journalisten selbst als kritikfähig erweisen. Letzteres wird in entsprechenden Leitlinien meist erwartet, kann aber individuell durchaus unterschiedlich ausfallen. Besonders hilfreich ist es freilich, wenn Leserin und Leser Journalistinnen und Journalisten möglichst sachlich mitteilen, wie ein Beitrag auf sie gewirkt hat. Das wissen nur die Leser selbst, und es hängt stark von den eigenen Erwartungen ab. Die können sich durchaus von den journalistischen unterscheiden. Deshalb ist es zu wünschen, dass Autorinnen und Autoren ihre Erwartungen im Einzelfall erkennen lassen. Das ist ein wichtiges Stück Transparenz.
Der Beitrag erschien am 2. Juni 2022 in der Main-Post. Er wurde für diese Kolumne redaktionell bearbeitet und gekürzt.
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