Leser wollen Transparenz
von Gastautor
Leser der Zürcher Tamedia AG stört es, wenn Redaktionen Online-Kommentare ohne nähere Begründung unterdrücken.
Fragt mich einer, wie es mir gehe, antworte ich stets, ich könne nicht klagen, solange die Leute klagten. Das halte mich in Amt und Würden. Und klagen tun sie, die Leserinnen und Leser, mit schöner Regelmäßigkeit und finsterer Insistenz. Über die nasse Zeitung im Briefkasten, den saudummen Artikel im Leibblatt, die schamlose Werbung in der Gratispublikation, den unterdrückten Online-Kommentar oder –ganz allgemein – die böse Welt. Der Ombuds-Superman, so hoffen sie, wird’s richten und wehe, er tut es nicht!
Zwar folgert die jüngste Studie eines Zürcher Rechtsprofessors, Schweizer Ombudsstellen würden zu wenig helfen. Solche Instanzen seien bei Konsumenten zwar sehr beliebt. Doch dienten sie in erster Linie den Anbietern. Medien-Ombudsleute allerdings klammerte die Studie aus.
Als Ombudsmann der Zürcher Tamedia AG bin ich für diverse Publikationen zuständig, vom Lokalblatt über die Regionalzeitung bis zur nationalen Publikation, von der Familien- über die Frauenzeitschrift bis zum TV-Programmführer. Gleichzeitig deckt in Genf Daniel Cornu, einst Chefredakteur der La Suisse, die französischsprachigen Publikationen des Verlages ab. Übergeordnetes Organ ist der Schweizer Presserat, der im vorigen Jahr 78 Stellungnahmen veröffentlicht hat.
Die Tamedia AG ist der einzige der drei großen Schweizer Verlage (neben Ringier und NZZ), der einen Ombudsmann beschäftigt – seit dem Jahr 1998 und in meinem Fall zu 50 Prozent. Daneben leisten sich im Print nur noch die AZ Medien in Aarau, die Neue Luzerner Zeitung (NLZ) und Springer Schweiz eigene Leseranwälte. Auch in der Schweiz ist das Nachrichten-Ombudswesen keine Wachstumsindustrie. Doch Tamedia-Verleger Pietro Supino sieht die Funktion als Investition zur Verbesserung journalistischer Qualität.
Seit meinem Amtsantritt 2010 sind im Schnitt 170 Beschwerden pro Jahr eingegangen, ähnlich viele, wie den Ombudsmann des Deutsch-Schweizer Radios und Fernsehens (SRF) erreichen. Das Gros der Reaktionen betrifft den Tages-Anzeiger (Auflage: 188.000), das dreisprachig erscheinende Gratisblatt 20 Minuten (Auflage: 732.148) und die Online- Auftritte der beiden Publikationen. Das größte Ärgernis für Leser sind nicht veröffentlichte Kommentare im Netz und die Praxis der Redaktionen, sich dazu nicht zu äußern. Da ich als Ombudsmann keine Entscheidungs- oder Weisungsbefugnis habe, bleibt mir in solchen Fällen nichts anderes übrig, als an das Verständnis der Zuständigen zu appellieren, zur Abwechslung eine Ausnahme zu machen. Was gelegentlich, aber nicht immer gelingt. Auch habe ich den Sachverhalt in einer meiner monatlichen Kolumnen thematisiert.
Eher ungewöhnlich war dagegen die Klage eines Fussballclubs der Axpo Super League, 20 Minuten rufe mit einem kritischen Artikel zu Gewalt in den Stadien gegen einen früheren Schweizer Nationalspieler auf. Dieser Einschätzung schloss ich mich nicht an, und auch der Schweizer Presserat tat es in der Folge nicht. Eigentor!
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