Meinungsstreit über Meinungen
von Gastautor
Aus drehscheibe 06/2023
Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder schaute sich kürzlich eine frisch sanierte Schule in der Region an. Für unsere Zeitungen mit dabei: Redakteur Tobias Gräf. Er schrieb nicht nur über die Stippvisite, er kommentierte sie auch. Bericht und Meinungsbeitrag – sauber getrennt, so, wie’s sein soll.
Bei dem Besuch sei es zwar auch um Schule und Bildung oder Digitalisierung gegangen, merkte der Autor an, aber doch vorrangig um eines: Söder selbst. „Ihn interessiert vor allem die Landtagswahl am 8. Oktober“, befand Gräf. Für ihn war Söders Auftritt in erster Linie Wahlkampf.
Prompt bekam Gräf elektronische Post von einer Leserin aus dem Landkreis Amberg-Sulzbach. „Mit Verwunderung“, so teilte sie mit, habe sie seine Meinung zur Kenntnis genommen. Wörtlich hieß es in der Mail: „Man mag zu Herrn Söder stehen, wie man will, das ist jedem selbst überlassen. Allerdings sollte gerade eine Zeitung neutral bleiben und auf die persönliche Meinung eines Mitarbeiters verzichten.“
Redakteur Gräf antwortete der Leserin unter anderem: „Ein Kommentar ist ein Meinungsbeitrag eines Redakteurs, er enthält von seinem Wesen her somit immer die subjektive Ansicht des Autors. Zudem soll er bewusst pointiert formuliert sein, um eine Debatte anzustoßen und den Leser anzuregen, sich eine klare, eigene Meinung zu bilden. Der Artikel selbst wiederum hat den Anspruch, neutral zu sein, aber möglichst auch keine relevanten Fakten zu verschweigen.“
Die Leserin ließ den Kollegen daraufhin wissen, sie sei „nach wie vor der Ansicht, dass die persönliche Meinung eines Redakteurs in der Zeitung nichts zu suchen hat, diese sollte neutral sein.“ Gräf wandte sich erneut an die Leserin und verdeutlichte dabei: „Es wird auch künftig Kommentare in unserer wie in jeder anderen Zeitung geben, sie gehören zu einer unabhängigen Berichterstattung dazu und sind der Wesenskern einer pluralistischen Debattenkultur.“
Zum Thema passend erscheint mir, was die bekannte ZDF-Journalistin Dunja Hayali unlängst gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) in einem Porträt geäußert hat. Es sei ein „verbreitetes Missverständnis“, dass Journalisten „gefälligst auf einen eigenen Kompass zu verzichten hätten und alles andere unzulässige, volkspädagogische Übergriffigkeit sei“. Selbstverständlich, betont Hayali, „ist es bei der Bewertung und Beleuchtung der Welt zulässig, eigene Moral ins Spiel zu bringen.“
Besorgt sei sie über das Verschwinden der Streitkultur, erklärte Hayali gegenüber dem RND, „dass Menschen keinen Widerspruch mehr ertragen und glauben, wenn man ihnen ein Argument entgegenhält, wolle man ihnen gleich die Meinungsfreiheit nehmen. Wir müssen lernen, mit Mehrdeutigkeiten zu leben“.
Dieser Artikel erschien zuerst in der Zeitung Der Neue Tag (Weiden). Er wurde redaktionell gekürzt.
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