Notfalls hart ins Gericht gehen
von Gastautor
Aus drehscheibe 11/2019
Ein Ombudsmann soll Schiedsrichter und Scharfrichter sein, Doktor Allwissend, oberste Korrekturinstanz, Moralphilosoph und Medienpädagoge. Wenn ich die Mails der Leser studiere, die mich täglich erreichen, blicke ich ob dieser Anforderungen erst mal verzagt auf die Tastatur meines Laptops. Kann man das alles sein? Ein bisschen von allem schon. Aber eins kann man sicher nicht: dem Beschwerdeführer in jedem Fall recht geben nach der Devise: „Der Leser hat immer recht!“ Obwohl es genügend Schreiber gibt, die genau das verlangen und die irgendeinen im Internet kursierenden Schwachsinn für die allgemeingültige Wahrheit halten, die Bild unterdrückt.
Andererseits: Der Ombudsmann muss im direkten Gespräch und in den bei Bild und Bild.de veröffentlichten Kolumnen mit der Redaktion notfalls hart ins Gericht gehen. Stellungnahmen des Ombudsmanns unter Dachzeilen wie „Ein Gau für die Redaktion“, „Glatte Fünf minus“, „Gravierende Falschaussage“ oder „Beamten-Mobbing bei Bild“ lösen nicht gerade Wohlgefühl in den Newsrooms aus. Das gilt auch für die Forderung „Mehr Respekt für die Leser“, wenn Redakteure zu saloppe oder verletzende Formulierungen durchgehen lassen. Hinter jedem dieser Urteile steht ein klares Fehlverhalten der Redaktion.
Als Ombudsmann muss ich jenseits politischer Sympathien oder Antipathien auf die Einhaltung korrekter Rechercheregeln drängen – das gilt auch für Autokraten wie Erdogan, der freien Journalismus verachtet. Der Fall: Als ihm in einem Beitrag unterstellt wurde, er hätte direkte „Rachebefehle“ an deutsch-türkische Rocker gegeben, um seinen Kritiker Böhmermann zu treffen, musste ich der Redaktion ins Stammbuch schreiben: „Fairness-Regeln gelten auch für Erdogan.“ Die Vorwürfe waren nicht belegbar. Die Redaktion musste sich korrigieren.
Was sind die Hauptthemen, die von Lesern mir gegenüber angesprochen werden? Eins hängt mit dem Titel der Bild zusammen, denn für die Redaktion und für die Käufer besteht Information nicht nur aus Worten, sondern auch aus Bildern. Fotos, die ein Geschehen zeigen, sind authentischer als Worte, die nur beschreiben. Bei Beschwerden über Fotos und Videos zu Gewalttaten wie etwa den Mordattacken in Christchurch rufe ich in Erinnerung, dass es gerade die Bilder mit dem von Napalm verbrannten Mädchen aus Vietnam waren, die entscheidend zu einem schnellen Ende des Vietnamkriegs beitrugen. Oder die Bilder aus den Folterkellern von Abu Ghraib, die weltweit Abscheu weckten und Abwehrkräfte stärkten gegen jede von Menschen gemachte Gewalt. Ein Bild wirkt und bewirkt mehr als tausend Worte. Die Wahrheit muss nicht immer verpixelt werden. Das gilt auch heute, und auch für die, die sich beklagen, dass die Redaktion solche Bilder realistisch zeigt.
Zweites Hauptthema: die Gewichtung der Parteien bei der Berichterstattung. Hier sind es vornehmlich Mitglieder und Sympathisanten der AfD, die eine häufige und vor allem positive Behandlung der Partei einfordern und behaupten, sie werde „mundtot“ gemacht. Aber die Redaktion kann die völkischen Eskapaden eines Höcke nicht unterschlagen, ebensowenig wie Ausländerhetze aus den Reihen der AfD und Akzeptanz von Gewalt. Medien bilden Wirklichkeit ab. Journalisten zeichnen Parteien nicht schön. Das gilt für das gesamte Parteienspektrum. Wären hier Schönzeichner am Werk, wäre das ein Fall für den Ombudsmann.
Thema Nummer drei: der Kommentar. Ein Kommentar ist eine persönliche pointierte Meinungsäußerung des Kommentators. Er will keinem vorschreiben, was er zu denken hat. Er wird nicht geschrieben, damit der Leser Ja und Amen sagt. Er ist eine Aufforderung, sich daran zu reiben und eine eigene Meinung zu schärfen. Das ist mein Mantra für alle, die sich über einen Kommentar erregen, weil er nicht ihrer eigenen Meinung entspricht.
Und noch ein Letztes: Jeder, der schreibt – es sei denn, er schüttet die Hasskanne über den Ombudsmann oder die Redaktion aus –, erhält eine persönliche Antwort. Das verlangt der Respekt vor dem Leser.
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