Redaktionen sind keine Influencer
von Gastautor
Aus drehscheibe 14/2020
Zur Erweiterung von Medienwissen oder Nachrichtenkompetenz können auch Entscheidungen des Deutschen Presserates beitragen. So habe ich aus seiner aktuellen Mitteilung zwei Fälle von unerlaubter Werbung herausgegriffen. Dazu schicke ich aus dem Pressekodex die Richtlinie 7.2 gegen Schleichwerbung voraus: „Redaktionelle Veröffentlichungen, die auf Unternehmen, ihre Erzeugnisse, Leistungen oder Veranstaltungen hinweisen, dürfen nicht die Grenze zur Schleichwerbung überschreiten.“ Das ist laut Kodex dann naheliegend, wenn sie „über ein begründetes öffentliches Interesse oder das Informationsinteresse der Leser hinausgehen oder von dritter Seite bezahlt bzw. durch geldwerte Vorteile belohnt werden“.
Auf der Hut zu sein, gilt es da für Redaktionen bei PR-Material. Das wird von Öffentlichkeitsabteilungen der Unternehmen den Redaktionen schon sehr professionell, also presse- oder zeitschriftengerecht, zur Verfügung gestellt. Häufig ist es durchaus nutzwertig. Der Fallstrick dabei: Mindestens indirekt wirbt es für Firmen oder deren Produkte. Deshalb gilt hier: Augen auf! So sah der Presserat Grenzen zur Werbung in der Zeitschrift Petra deutlich überschritten. Die Redaktion gab unter der Überschrift „… wie wir weniger Zucker konsumieren“ ein Gespräch mit der Kommunikationschefin des Unternehmens Lidl wieder. So sinnvoll richtiger Umgang mit Zucker für ein gesundes Leben sonst auch sein mag: Im vorliegenden Fall wurde es als reine Imagewerbung für den Discounter klassifiziert, besonders durch das Hervorheben eines Löffels, mit dem der Zuckerverbrauch verringert werden solle.
Auf dem Internetportal Mädchen.de war unter den Überschriften „Nach diesem Haarreifen sind gerade alle Influencer verrückt!“, „Diese Jeans von H&M steht jedem Mädchen!“ und „H&M: Dieses Crop Top wollen gerade alle Mädchen haben!“ überaus positiv und in werblicher Sprache über Produkte berichtet worden. Zu viel für den Presserat.
Angemerkt sei, dass Influencer, wie ihre Bezeichnung signalisiert, meist ebenfalls versuchen, Menschen werblich zu beeinflussen. Sie tun das mit ihrer starken Präsenz in sozialen Netzwerken. Doch für sie gilt kein Pressekodex wie für Redaktionen von Zeitungen und Zeitschriften, ob gedruckt oder online.
Folglich sollte der Anspruch der Redaktion von Mädchen.de, wollen sie seriöse Beiträge für ihre Zielgruppe abliefern, eigentlich ein anderer sein. Freilich waren die in den Beiträgen aufgezählten Artikel auch noch mit Online-Shops verlinkt. Daran verdient der eigene Verlag mit, wenn darüber eingekauft wird. Wir lernen: Das sind „Affiliate-Links“, die bringen Profit. Diese für sie einträgliche Tatsache hat die Mädchen.de-Redaktion verschwiegen. Der Presserat hat sie für die Veröffentlichung gerügt, ebenso wie die Redaktion der Petra, beide mit der Verpflichtung zur Veröffentlichung dieser Sanktionen.
Vielleicht fragen Sie nun, wieso ich den Blick auf andere Medien werfe und nicht aufs eigene Medienhaus. Ich sehe es mal positiv: Mir lagen gerade keine Beschwerden vor.
In den journalistischen Leitlinien der Main-Post steht übrigens: „Redaktionelle Veröffentlichungen, die auf Unternehmen, ihre Erzeugnisse, Leistungen oder Veranstaltungen hinweisen, dürfen nicht die Grenze zur Schleichwerbung überschreiten. Eine Überschreitung liegt insbesondere nahe, wenn die Veröffentlichung über ein begründetes öffentliches Interesse oder das Informationsinteresse der Leser hinausgeht oder von dritter Seite bezahlt bzw. durch geldwerte Vorteile belohnt wird. Die Glaubwürdigkeit der Publikationen der Mediengruppe Main-Post als Informationsquelle gebietet besondere Sorgfalt beim Umgang mit PR-Material.“
Der Text erschien erstmals auf Mainpost.de am 15. Oktober 2020
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