Sprachlich über den großen Teich
von Gastautor
Aus drehscheibe 14/2023
Woran denken Sie bei dem Wort „Amerika“? Wie die meisten von uns wahrscheinlich an irgendetwas, das mit den USA zu tun hat. Auch Journalisten verwenden die Begriffe synonym, also mit gleicher Bedeutung. Korrekt ist das nicht, kritisierte ein Leser. Ihn ärgert es, wenn zum Beispiel laut einem Bericht in der Volksstimme „Gastfamilien für amerikanische Schüler“ gesucht werden, im Artikel aber nur von den USA die Rede ist. Was denn etwa mit Kubanern, Kanadiern, Chilenen sei?
In der Sache hat der Leser recht. Geografisch bezeichnet „Amerika“ die beiden Kontinente Nord- und Südamerika, auf beiden liegen mehr als 30 Länder – nur eines davon sind die USA oder auf Deutsch Vereinigten Staaten von Amerika. In der Alltagssprache, zumindest im deutschen und englischen Sprachraum, hingegen ist „Amerika“ als andere Bezeichnung für die USA gebräuchlich.
Aber sollten zumindest Journalisten nicht ganz besonders präzise sein und immer die korrekte Bezeichnung verwenden? Stimmt, wir sind zur Sorgfalt verpflichtet. Eine Aufgabe des Journalismus ist es jedoch auch, Informationen so verständlich, lebensnah und anschaulich wie möglich zu vermitteln. Denn eine Nachricht kann noch so wichtig sein: Wenn niemand sie (richtig) versteht, verfehlt sie ihr Ziel oder kommt gar nicht erst an.
Die entscheidende Messlatte legen die jeweiligen Empfängerinnen und Empfänger der Information an. Wer einen Artikel für ein medizinisches, juristisches, technisches Fachmagazin schreibt, muss die exakten Begrifflichkeiten beherrschen und verwenden. Eine Zeitung wie die Volksstimme hingegen richtet sich an ein breites Publikum. Diese Leserinnen und Leser sind zwar selbst auch Experten, in ihrem Beruf, Hobby oder Ehrenamt. Doch natürlich kann niemand auf allen Gebieten gleichermaßen sachkundig sein. Die Alltagssprache aber ist den meisten Menschen vertraut, darum verwenden wir sie sozusagen als kleinsten gemeinsamen sprachlichen Nenner. Zumal Worte nicht isoliert, sondern immer in einem Kontext stehen, der die korrekte Ein- und Zuordnung von Formulierungen unterstützt. Wenn wir über den amerikanischen Präsidenten Joe Biden berichten, weiß daher jeder: Gemeint ist der Staatschef der USA. Umgekehrt würde es merkwürdig anmuten, den kubanischen Staatspräsidenten Miguel Díaz-Canel als amerikanischen Politiker zu bezeichnen, obwohl auch das sachlich nicht falsch wäre.
Wenn Sie die Eingangsfrage übrigens einer Dame aus Sachsen oder einem Herrn aus Niedersachsen stellen, fällt die Antwort womöglich ganz anders aus, denn dort gibt es einige kleine Orte namens Amerika. Also: Auf den Zusammenhang kommt es an.
Veröffentlicht am
Kommentare
Einen Kommentar schreiben