Studien besser erklären
von Gastautor
Aus drehscheibe 10/2021
Über einen Leserbrief habe ich mich gefreut, weil Herr U. E. am 16. Juli darin etwas aufgezeigt hat, was für Journalisten grundsätzliche Bedeutung haben sollte. Überschrieben mit „Da bleibt einem die Spucke weg“, hat sich U. E. zu Recht kritisch über die Überschrift einer Meldung auf der Titelseite der Zeitung vom 9. Juli geäußert. Sie lautete: „Nachbarländer sehen mehr Extremismus in Deutschland.“
In der Meldung heißt es, dass die Sorge um Rassismus zunehmend den Blick von außen auf Deutschland präge. Zu diesem Ergebnis sei eine Studie des Goethe-Instituts, der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit und des Deutschen Akademischen Austauschdienstes gekommen. Basis dafür seien eine Online-Befragung von 622 Personen aus 37 Ländern und weiterführende Interviews mit 48 Befragten aus 24 Ländern gewesen.
Da bleibe einem empirisch arbeitenden Wissenschaftler die Spucke weg, kommentiert U. E., wohl, weil er selbst empirisch tätig ist. Er hat gerechnet und kam aufgrund der in der Meldung genannten Zahlen zu dem Ergebnis, dass die drei Institutionen pro Land durchschnittlich knapp 17 Personen aus 37 Ländern online befragt und je zwei Personen aus 24 Ländern interviewt hätten. U. E. fordert deshalb: „Ab in den Papierkorb mit solchen Untersuchungen und populistischen Meldungen!“
Als Anwalt für den Leser U. E. könnte ich sein Schreiben mitunterzeichnet haben, weil die genannte Studie einfach zu dünn ist für die generelle Aussage der Überschrift. Letztere taugt bestenfalls als Meinungsäußerung. Nun ist mir der Leser mit seiner Kritik zuvorgekommen.
Mir ist es dabei wichtig, grundsätzlich auf gerne und vorschnell in Medien verbreitete Studien oder Statistiken hinzuweisen, denen zuweilen Basisangaben fehlen oder die nicht gedeckte Wertungen enthalten. Zumindest war es im vorliegenden Fall der Extremismus-Studie möglich, sie richtig einzuordnen, so wie es Herr U. E. getan hat. Entscheidende Kennzahlen waren mitgeliefert, was leider nicht immer der Fall ist.
So manches Mal wünsche ich mir, dass im Journalismus mehr wissenschaftlicher Geist einkehren möge, gerade im Hinblick auf die Nennung der Herkunft von Quellen, der nüchternen Erklärung von Ergebnissen oder Zahlen. Mehr Klarheit würde oft guttun. Journalisten könnten dabei aus eigenen kritischen Beiträgen zu Plagiaten oder fehlenden Quellenangaben in Werken von Politikern selbst Lehren ziehen. Das zahlt ein auf den Faktor Glaubwürdigkeit. Damit kein Missverständnis entsteht: Von einem Plagiat war hier nicht die Rede, lediglich von einer zu weit gehenden Bewertung.
An dem vom Leser U. E. aufgezeigten Beispiel lässt sich erklären, dass es gut ist, journalistisch möglichst viel über Studien oder Statistiken preiszugeben. Weitgehende Klarheit kann dazu beitragen, die Kompetenz in der Leserschaft zu erhöhen. Das kann die Leser in die Lage versetzen, unseriöse Absender, die vorwiegend intermediär auftreten, besser von den seriösen zu unterschieden. Denn darauf kommt es mehr denn je an.
Der Beitrag erschien zuerst in der Main-Post.
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