Warum nicht alles Thema wird
von drehscheibe-Redaktion
Aus drehscheibe 12/2018
Diese Mail erreichte den Leseranwalt: „Sehr geehrter Herr Kandziora, dass das Eiffelturmrestaurant neue Köche hat, ist wohl für weniger als 1 Promille der Leser interessant, interessiert aber ansonsten ,keine Sau‘. Dass der Waldrapp Nachhilfe in Sachen Flugkünste bekommt, ist auch nett zu lesen, hat aber keinen umfassenden Informationswert. Neil Diamond singt für Feuerwehrleute, tolle Sache, aber das ist Boulevardjournalismus.“
Nach diesen einleitenden Sätzen kommt der Leser zu seinem Anliegen: „Dass in Memmingen eine 21-Jährige von einem Asylbewerber vergewaltigt wurde, hat sogar der BR in seinen Schlagzeilen gebracht.“ Der Verfasser schreibt weiter: „Ich wage die Prognose, dass diese Meldung wohl viel mehr oberpfälzische Leser interessiert hätte, als dass 34 Heimbewohnerinnen in Neu-Delhi missbraucht wurden. Dies ist auch eine schlimme Sache, aber Memmingen ist laut Google Maps mehrere Tausend Kilometer näher.“ Am Ende steht die Frage: „Aus welchem Grund wurde der Vorfall in Memmingen nicht in unserer Gegend veröffentlicht?“
Über 1.000 Meldungen
„Wissen Sie“, so erläuterte ich dem Leser, „eine Zeitung lässt sich ganz gut mit einem Supermarkt vergleichen. Der hat verschiedene Abteilungen. Eine Zeitung auch. Das sind im Mantelteil: Politik auf Seite 1 und 2, Themen des Tages auf Seite 3, nochmals Politik auf Seite 4, auf Seite 5 nach Möglichkeit Landespolitik, danach ein oder auch mal zwei Seiten Bayern/Oberpfalz, am Ende in der Regel eine Seite Weltgeschehen. Nun, in diesen Zeitungs-Abteilungen sind Meldungen in den ,Regalen‘, für die sich der eine Leser mehr interessiert, der andere weniger. Manchmal vermisst er auch eine bestimmte ,Ware‘. Bei über 1.000 eingehenden Meldungs-Lieferungen täglich allein in der Zentralredaktion auch kein Wunder. Es passt eben nicht alles in die ,Regale‘. In diesen haben aber Neil Diamond oder das Eiffelturmrestaurant ebenfalls ihre Berechtigung. Es gibt genügend Leser, die solche Produkte mögen und ,konsumieren‘. Ein bisschen Boulevard darf in einer Regionalzeitung auch sein.
Auch das Bayern/Oberpfalz-,Regal‘ verfügt nur über beschränkten Platz. Auf diese Seite wird es deshalb nicht jede Meldung über eine Vergewaltigung im Freistaat ,schaffen‘. Wenn Sie diese Nachricht dem BR entnommen haben, dann passt es ja, oder? Dann wissen Sie ja Bescheid. Ich stelle mir allerdings die Frage, ob Sie die Vergewaltigung ebenso interessiert hätte, wenn der mutmaßliche Täter kein Asylbewerber gewesen wäre. Das nur noch so am Rande.“
Platz ist begrenzt
Unsere Philosophie ist, den Schwerpunkt unserer Berichterstattung auf das Lokale und Regionale zu richten. Dennoch legen wir Wert auf einen von uns selbst produzierten überregionalen Teil. Wir übernehmen diesen nicht von einer anderen Zeitung, was inzwischen viele andere Häuser tun, wir gehören auch nicht zu den Zeitungen, die mit anderen Verlagen gemeinsame Mantelredaktionen betreiben.
Die Kollegen der Zentralredaktion sind sich dessen bewusst, dass es ein Ding der Unmöglichkeit ist, alles in der Zeitung unterzubringen, was ihnen wichtig erscheint. Zwangsläufig werden manche Themen nur kurz angerissen, andere kommen ausführlicher, viele gar nicht. Dies immer vor dem Hintergrund, dass der Umfang unserer Zeitung nicht beliebig erweiterbar ist. Die Entscheidung, eine Meldung zu bringen oder nicht, ist subjektiv. Oft gehen dem intensive Diskussionen innerhalb der Redaktion voraus.
Natürlich bleibt es jedem Leser unbenommen, seine eigene Wertung vorzunehmen. Auch dann, wenn es um Meldungen geht, die er in unserer Zeitung nicht vorgefunden hat und gerne hätte lesen wollen. Aber wenn etwas nicht erscheint, hat das mit Nachrichten-Unterschlagung rein gar nichts zu tun. Redakteure müssen nach journalistischen Gesichtspunkten eine Auswahl treffen, bei der immer Nachrichten auf der Strecke bleiben, die andere für wichtig erachten.
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