Zwei für die Leser
von Gastautor
In der Veröffentlichung von Zuschriften, die nur mit Pseudonymen oder Abkürzungen unterzeichnet waren, sah ein Leser einen Verstoß gegen die Regel der Zeitung, anonyme Leserbriefe nicht zu veröffentlichen. Zudem verurteilte er grundsätzlich den Gebrauch von Pseudonymen in der öffentlichen Diskussion. Er wollte wissen, was der Ombudsrat der Zeitung davon hält. Mein Ombudsratskollege Dr. Heinrich Kintzi und ich gaben dem Leser Recht und empfahlen der Redaktion, auf der Leserseite der gedruckten Zeitung keine anonymen Lesermeinungen zu veröffentlichen. Die anonymen Zuschriften waren Beiträge auf der neuen Debattenseite der Braunschweiger Zeitung, die – wie der gesamte überarbeitete Internetauftritt – von den Lesern sehr gut geklickt wird. Die Redaktion hatte die Briefe auch deutlich als Internetbeiträge gekennzeichnet. Trotzdem haben wir darin einen Widerspruch zu den lange eingeübten Regeln der Leserseite erkannt.
Chefredakteur Armin Maus stützte die Position des Ombudsrates. Er betonte den Wert, den der Austausch mit den Lesern für die Redaktion habe. Man müsse zwar respektieren, dass im Internet allgemein und damit auch auf den Internetseiten unserer Zeitung die Gepflogenheiten anders seien, auch Diskussionen würden hier anders ablaufen. Das ändere aber nichts an den Spielregeln, die in der gedruckten Zeitung gelten. Der klassische Leserbrief behalte seine Bedeutung. Ergebnis: Auf der Leserseite werden keine anonymen Beiträge mehr gedruckt
Das Braunschweiger Modell
Der Ombudsrat unserer Zeitung unterscheidet sich von denen anderer Zeitungen. Unsere Redaktion hat zwei Ombudsräte berufen. Als Externen Dr. Heinrich Kintzi, Generalstaatsanwalt a.D.; er spricht für die Leser. Aus der Redaktion selbst stoße ich dazu. Diese Besetzung hat sich in der Praxis bewährt, denn die Beurteilung durch den geschulten Blick eines gestandenen Juristen, der nicht in den Redaktionsalltag eingebunden ist, zeigt nicht nur bei juristischen Fragen häufig neue Facetten auf – ein wirksames Instrument gegen „Betriebsblindheit“. Um die Substanz von Leserbeschwerden einschätzen zu können, beurteilen wir sie nach geläufigen Regeln: den publizistischen Grundsätzen (Pressekodex) des Deutschen Presserates, dem Verhaltenskodex der WAZ Verlagsgruppe, aber auch allgemein gültigen Grundsätzen des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Nach gemeinsamer Beratung fällen wir einen Schiedsspruch. Sind wir in der Beurteilung einer Beschwerde unterschiedlicher Meinung, werden beide Meinungen veröffentlicht. Zu lesen sind unsere Beiträge auf der Debattenseite unseres Internetauftritts unter Ombudsrat oder regelmäßig montags auf der Leserseite der gedruckten Zeitung.
Ziel unserer Arbeit ist die Schlichtung, nicht die Verurteilung. Zwischen den streitenden Parteien – Leser auf der einen, Redakteuren auf der anderen Seite – wollen wir zumindest eine Annäherung erreichen, im besten Fall eine Aussöhnung. Es liegt auf der Hand, dass dieses Ziel nicht jedes Mal erreicht wird. Mancher Leser will keine Schlichtung, sondern eine klare Schuldzuweisung. Er sucht dann die nächste Instanz und reicht etwa Beschwerde beim Deutschen Presserat ein. Und obwohl die Redaktion sehr selbstkritisch eingestellt ist, stellen auch Kollegen schon mal die Einrichtung des Ombudsrates in Frage, wenn sie – ihrer Meinung nach zu Unrecht – gerügt oder zu heftig kritisiert wurden.
Dessen ungeachtet ist bei der Braunschweiger Zeitung unbestritten, dass die Arbeit des Ombudsrates zur Qualität der Zeitung beiträgt. Zum Bespiel ist die Sensibilität bei ethischen oder juristischen Fragen gestiegen. Indiz dafür ist die gelegentlich in der Abendkonferenz gestellte rhetorische Frage: Was sagt denn wohl der Ombudsrat dazu? Unbestritten ist auch, dass die Glaubwürdigkeit der Zeitung und das Vertrauen in die Redaktiongestärkt werden. Rückmeldungen von Lesern belegen das.
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