Debatte

Zeit für ein neues Medienbewusstsein

von

Michael Husarek

 

Die Perspektiven von gutem Journalismus im digitalen Zeitalter? Kulturpessimisten, nicht wenige davon finden sich in Redaktionen, antworten auf diese Frage spontan und ausdauernd mit gleich null. Der Präsident des Bundesverbands Deutscher Zeitungsverleger (BDZV), Springer-Chef Mathias Döpfner, sagt schlicht und einfach: „Die besten Zeiten liegen noch vor uns.“ Die Schlacht, darauf lassen diese Äußerungen schließen, ist in vollem Gange. Und sie ist unentschieden.

Gafa greift an

Derzeit tun sich die Anbieter von qualitativ hochwertigem Content, also journalistischen Beiträgen, tatsächlich schwer, den hinter den Texten, Bilderstrecken, Videos und Slide- Shows steckenden Aufwand auch nur annähernd zu refinanzieren. Das Internet ist ein einziges Draufzahlgeschäft. Zumindest gilt das für etliche Verlagshäuser. Dagegen verdienen sich einige große Plattformen dumm und dämlich. Längst ist der eigens kreierte Begriff für die Netzgiganten zum Schimpfwort mutiert: Gafa, so lautet die Abkürzung für Google, Apple, Facebook und Amazon. Alle vier Unternehmen zählen zu den größten Internetkonzernen der Welt.

Idee für gemeinsame Plattformen

Sich über den unersättlichen Wachstumskurs des Gafa-Monopols, dessen globales Netzwerk gerne mit dem Schlagwort Krake umschrieben wird, zu echauffieren, gehört fast schon zum guten Ton. BDZV-Chef Döpfner ist da bereits einen Schritt weiter: Er plädiert für eigene, verlagsübergreifende Plattformen, auf denen Medienhäuser kuünftig ihre Angebote ausspielen könnten. Anders formuliert: Das Prinzip Plattform kann durchaus auch für Journalismus-Anbieter einen Ausweg aus dem Dilemma weisen.

Als Teil dieses Dilemmas wurde bis vor kurzem auch das angespannte Verhältnis zwischen öffentlich-rechtlichen Rundfunkhäusern und den privatwirtschaftlich finanzierten Tageszeitungshäusern angesehen. Beide Seiten beäugten sich, von temporären und inhaltlich durchaus vielversprechenden Redaktions-Kooperationen abgesehen, argwöhnisch. Es ging vor allem um die Deutungshoheit im Netz. Dürfen dort die Öffentlich-Rechtlichen ungeniert den Privaten Konkurrenz machen? – lautete die über Jahren stets aufs Neue formulierte Gretchenfrage. Den gordischen Knoten durchbrochen haben beide Seiten erst vor kurzem – zu verdanken war das der Initiative des ARD-Intendanten Ulrich Wilhelm, der zugleich oberster Chef des Bayerischen Rundfunks (BR) ist sowie BDZV-Präsident Döpfner. Der Schmusekurs gipfelte in Wilhelms Werbetour vor den Verlegern für eine gemeinsame Plattform. Dafür erntete der smarte Intendant viel Beifalls beim BDZV Zukunftskongress.

Raus aus den Echokammern

Alles gut? Nein. Allenfalls ist es gelungen, einen Nebenkriegsschauplatz zu befrieden. Denn weder sind die Medienhäuser Gegner der Rundfunkanstalten noch gilt das umgekehrt. Nein, der Feind sitzt in den Tiefen des Netzes. Solange der seit langem anhaltende Trend, möglichst passgenau individualisierte Inhalte an die User auszuspielen, anhält, so lange wird es schwierig für die alten Journalismus-Eliten. Natürlich ist es eine vornehme Aufgabe, einen Beitrag zur Demokratie zu leisten, indem den Menschen bei der schwierigen Suche nach der Wahrheit geholfen wird. Doch leider haben viele Internetnutzer den Kompass bei dieser Suche aus den Augen verloren. Sie verlassen sich auf ihre Filterblasen und die darin geteilten Inhalte. Diesem gesellschaftlichen Megatrend haben Anbieter von Qualitätsjournalismus bislang wenig entgegenzusetzen. Es gilt also, die Menschen aus den Echokammern wieder herauszuführen auf das offene Spielfeld der Inhalte. Dort gilt es, auch unangenehme Wahrheiten auszuhalten.

Neue Bündnisse denkbar

Letzten Endes kann dieser Schritt aus der Blase nur in einem Zusammenspiel aller beteiligten Akteure gelingen: Medienhäuser, Rundfunkanstalten und politische Bildungsarbeit müssen an einem Strang ziehen. Wer eine solche Allianz für das Hirngespinst von Gutmenschen erachtet, täuscht sich.

Tatsächlich gab es in jüngster Vergangenheit viele Mut machende Mosaiksteinchen: Donald Trumps Fake-News-Wahnsinn hat Hunderttausende US-Amerikaner zurück zu den Qualitätsanbietern gebracht, der US-Präsident ist das wohl zugkräftigste Verkaufsargument für die Ausgaben der New York Times oder der Washington Post. An solchen unfreiwilligen „Mutmachern“ mangelt es auch innerhalb der EU nicht. Ob der Blick nach Ungarn, Polen oder in die Slowakei streift, an vielen Orten vollziehen sich besorgniserregende Entwicklungen.

Auch in den klassischen, vermeintlich im gesellschaftlichen Konsens tief verankerten westlichen Demokratien befinden sich populistische Bewegungen auf dem Vormarsch. Natürlich wäre es zu einfach, deren Erfolge mit Filterblasen
zu erklären. Aber im Umkehrschluss gilt sicherlich: Wenn es wieder gelingt, mehr Menschen mit seriösen Angeboten zu erreichen, also ein mediales Bewusstsein zu schaffen, dann sinken die Chancen der gnadenlosen Vereinfacher.

Positiver Ausblick

Die Frage nach dem richtigen Bezahlmodell und den geeigneten Ausspielkanälen ist dabei eher nebensächlich. Zunächst muss sich diese Allianz für ein neues Medienbewusstsein formieren, Fahrt aufnehmen und schließlich durch saubere und unantastbare Arbeit schrittweise das im ersten Vierteljahrhundert seit Gründung des Internets verloren gegangene Vertrauen wieder zurückgewinnen. „Nie zuvor war Journalismus so vielfältig, so schnell, so präzise wie heute. Und seit langem war er nicht mehr so wichtig für den Fortbestand unserer Gesellschaft“, sagte BDZV-Chef Döpfner zu Recht. Es könnten tatsächlich gute Zeiten anbrechen.

Dieser Artikel erschien zuerst am 10. Oktober 2018 in den Nürnberger Nachrichten. Wir danken Michael Husarek für die Erlaubnis zur Veröffentlichung.

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