„Social Media kann unglaublich mächtig werden“
von drehscheibe-Redaktion
Der Protest im Netz ist derzeit Gegenstand weitläufiger Diskussionen. Wie wichtig ist er? Wie funktioniert er? Und die drehscheibe interessiert natürlich zusätzlich: Wie sehen Blogger eigentlich Lokaljournalisten? Die Redaktion hat sechs Beteiligten des Online-Protestes in Stuttgart fünf Fragen gestellt:
- Welche Rolle hat der Protest im Netz bei S21 gespielt?
- Social Media kann...?
- Blogger sind...?
- Und Lokaljournalisten sollten...?
- Was war für Sie die spannendste Web-Aktion/das interessanteste Tool?
1. Welche Rolle hat der Protest im Netz bei S21 gespielt?
Sicherlich eine große, wobei eines glasklar fest steht: „Online-Protest“ ist ein Addendum. Nur die unbedingte, unaufhörliche und breit getragene Zueigenmachung der Straße bewegt. Das Web ist erst relevant, wenn der Sprung in die Wirklichkeit gelingt. Viele Gruppen haben sich über parkschuetzer.de kennengelernt und gegründet, die prominenteste darunter wohl die „Aktiven Parkschützer“ mit ihrem Sprecher Matthias von Herrmann. Außerdem speisen sich sehr viele Aktionen daraus. Und schließlich: das sogenannte „Crowdsourcing“, wobei sich das in unserem Fall ganz allein etabliert hat. Sollte eine neue Information aufkommen, so findet man sie umgehend auf parkschuetzer.de. Eine unglaublich schnelle und effektive Informations-Distribution.
2. Social Media kann...?
So trivial es klingt: vernetzen. Denn es wird kommuniziert, pausenlos, häufig asynchron, schnell und vor allem mit sehr geringen Teilnahmebarrieren. Dabei besteht die große Chance, dass die Geschwindigkeit und Barrierelosigkeit mit Unmittelbarkeit und Persönlichkeit kombiniert wird. So wird der nötige Raum für eine Vernetzung erschaffen, die sich im besten Fall in irgendeiner Form auch erfolgreich in der realen Welt manifestiert. Dann kann Social Media unglaublich mächtig werden.
3. Blogger sind...?
im guten Fall clevere Menschen, die Ihre Meinung öffentlich zugänglich machen. So dass man sich an ihr reiben kann, sich tiefer hineindenkt und schließlich seinen eigenen Standpunkt bildet. Im schlechten Fall schlicht überflüssig.
4. Und Lokaljournalisten sollten...?
beide Geschichten erzählen. Auf faire Weise. Die Zustimmung der Redaktion für ein Projekt darf nicht zur Meinungsmache und einseitigen Berichterstattung führen. Wenn ein beträchtlicher Teil der Gesellschaft seine Geschichte nicht gleichberechtigt erzählen kann, führt das unweigerlich zu Problemen.
5. Was war für Sie die spannendste Web-Aktion/ das interessanteste Tool?
parkschuetzer.de als eine eigene Plattform, die von uns für uns gemacht wird und so eine sehr starke Identität hat. Wir haben ein SMS-Alarmsystem (zuletzt am 30.9. ausgelöst), hatten einen gemeinsamen Schicht-Plan zur Bauzaunwache, einen Protest-Song-Contest, ein Tool zur Vernetzung und Mobilisierung zur Landtagswahl, und vieles mehr. Zu jedem Zeitpunkt genau das Tool, das wir gebraucht haben, um den Protest zu unterstützen und weiter zu tragen. parkschuetzer.de hat sich non-stop gewandelt und wird es weiter tun.
1. Welche Rolle hat der Protest im Netz bei S21 gespielt? Wie wichtig war er?
Nicht wichtig, aber unumgänglich. Das Netz ist ein Abbild der Realität, jedoch mit viel schnelleren Vernetzungsmechaniken. Menschen bekamen durch den Protest im Netz schnell und leicht Zugang zu Gleichgesinnten.
2. Social Media kann...?
...absolut überbewertet werden, ist aber durch die Echtzeit-Kommunikation das Medium Nummer Eins bezüglich Aktualität.
3. Blogger sind...?
...auch nur Menschen.
4. Und Lokaljournalisten sollten...?
...mutiger werden und sich mehr zutrauen.
5. Was war für Sie die spannendste Web-Aktion/ das interessanteste Tool?
Fluegel.tv, cams21, bauzaun21.de, Mappus Countdown und unendlich viele weitere Aktionen. Vor allem aber hat mich die Kreativität der Bürger begeistert.
1. Welche Rolle hat der Protest im Netz bei S21 gespielt?
Der Protest im Netz war ein wichtiger Verstärker. Doch ohne die Menschen, die schon seit mehr als zehn Jahren auf die Straße gehen, Diskussionen und Informationsabende organisieren, wäre der Protest nie so groß geworden. Ich vergleiche das immer mit einer Band: Mit akustischen Instrumenten kann man maximal das Stuttgarter Opernhaus füllen. Wird die Musik elektronisch verstärkt, kann man das Neckarstadion beschallen. Das Netz war der elektronische Verstärker.
2. Social Media kann...?
Menschen zusammen bringen. Aber soziale Medien können Organisation und reale Treffen nicht ersetzen.
3. Blogger sind...?
wichtige alternative Journalisten. Der Protest in Stuttgart wurde von den beiden Lokalzeitungen, die das Projekt positiv begleiteten, zu lange ignoriert. So entstanden zahlreiche alternative Medien, Blogs und Internetseiten, die über das Thema und das Projekt informierten. Mittlerweile berichten die Medien in Stuttgart wieder sehr aufmerksam über das Projekt.
4. Und Lokaljournalisten sollten...?
Lokaljournalisten haben oft mit den Mächtigen zu tun - Bürgermeister, Konzernchefs, Bauunternehmer. Sie sollten nicht den Blick für die Ohnmächtigen verlieren und auch denjenigen eine Stimme geben, die sonst keine Lobby haben. Ich finde es gut, dass die Lokalzeitungen jetzt teilweise sogar investigativ über das Projekt und die Vorgänge darum berichten. Das kostet zwar Zeit, ist aber auch eine Stärke von lokalem Journalismus: Sie sind zumeist näher dran. Blogger können eine gute Lokalzeitung niemals ersetzen.
5. Was war für Sie die spannendste Web-Aktion/ das interessanteste Tool?
Für mich waren es Facebook und Fluegel.tv. Facebook, weil hier die Auseinandersetzungen am direktesten waren. Fluegel.tv, weil damit ein tolles, alternatives Medium entstanden ist und ich die nette Art des Senders mag.
1. Welche Rolle hat der Protest im Netz bei S21 gespielt?
Das Netz spielt eine zentrale Rolle. Hier sind die meisten Aktiven vernetzt; hier verabredet man sich zu Aktionen, sind die aktuellsten Informationen verfügbar, die von hier aus zu den Menschen in Stadt und Land getragen werden.
2. Social Media kann...?
... Nerven kosten. Nicht nur bei den Aktiven. Er soll vor Allem die Nerven der Verantwortlichen in Politik und Verwaltung strapazieren und so ein Umdenken und Kommunikationsbereitschaft anregen.
3. Blogger sind...?
mitunter langweilig. Sie geben jedoch in ihrer Vielfalt die volle Bandbreite der Meinungen und Motivationen wieder. Es gibt die informativen Blogs, die Termine, Fakten und Ereignisse behandeln. Es gibt die Spaß- und Satire-Blogs, die einem den bissigen Ernst nehmen. Und es gibt Blogs, die persönliche Eindrücke vermitteln, betroffen machen. Genauso wie die Kreativen und Künstlerischen. Leider kann man gar nicht alles überblicken: Jeder hat seine persönlichen Favoriten. Highlights wiederum werden immer wieder im Netz verlinkt, sodass das Wesentliche bei den Netz-Aktiven ankommt.
4. Und Lokaljournalisten sollten...?
... sich zumindest dafür interessieren, was gerade vor ihrer Nase geschieht. Sie sollten sich mit dem einen oder anderen Netz-Aktiven zusammentun, um die bunte Palette des riesigen Angebots zu filtern, damit Verwertbares und Lesenswertes übrig bleibt. Ein Lokaljournalist darf im Übrigen durchaus Farbe bekennen und um Sympathie für die eine oder die andere Seite werben - das macht doch den Reiz des Lokaljournalismus aus.
5. Was war für Sie die spannendste Web-Aktion/ das interessanteste Tool?
Das wichtigste Tool ist Bambuser, weil es auch technischen Laien ermöglicht, unkompliziert per Mobiltelefon ins Netz zu streamen. So konnte man beispielsweise am 30. September live mit tilman36 durch den Park gehen und den Beginn der Eskalation mitverfolgen oder beim Rundgang im Südflügel dabei sein. Durch die unmittelbare Öffentlichkeit von Livestreams können Eskalationen früh abgewendet werden, sodass der Respekt der ausführenden Behörde gegenüber den Bürgern wiederhergestellt wird.
1. Welche Rolle hat der Protest im Netz bei S21 gespielt?
Durch Plattformen wie Facebook, Twitter oder parkschuetzer.de konnten Aktivisten sich selbst mobil austauschen. Dank der neu entstandenen Medien wie Cams21 und fluegel.tv konnten viele sich eine eigene Meinung bilden. Ohne das Internet wäre die Dynamik des S21-Protestes nicht denkbar gewesen. Auch aufgrund der Komplexität des Themas wäre es kaum möglich gewesen, so viele Menschen in kurzer Zeit dafür zu gewinnen. Der Protest gegen S21 hat zu einer Politisierung der Bevölkerung geführt. Noch nie war Kommunalpolitik in Stuttgart und Umgebung von so großem Interesse. Es gilt nun diese positiven Effekte weiter zu fördern und mit Leben zu füllen – ganz egal wie es mit S21 weitergeht.
2. Social Media kann...?
... sehr viel verändern und unseren Gesellschaften neue Perspektiven verschaffen. Durch diese modernen Werkzeuge findet eine intensive Kommunikation statt, welche das soziale Bewusstsein schärfen und letztendlich zu eigenem Engagement motivieren kann. Durch das Internet ist es mit wenig Geld möglich, sehr viele Menschen zu erreichen. Dies wird insbesondere dann wichtig, wenn die kommerziell ausgerichteten Medien auf eine kritische Berichterstattung verzichten.
3. Blogger sind...?
... eine Art „Volksreporter“, die dem gängigen Medienapparat eine neue, individuelle und bürgernähere Sichtweise hinzufügen. Ein Blogger berichtet in der Regel subjektiv. Das kann spannender sein als ein Bericht, der immer auf Ausgewogenheit und Objektivität ausgerichtet ist.
4. Und Lokaljournalisten sollten...?
Ein Lokalreporter hat es besonders schwer auf Grund der Nähe zum Thema und den Protagonisten eine kritische Haltung und Berichterstattung aufrecht zu erhalten. Grundsätzlich ist aber eine überwiegend kritische Haltung von herausragender Wichtigkeit: Eine zu Unrecht erhobene Kritik kann korrigiert werden. Ein nachlässiger Verzicht auf kritische Berichterstattung hingegen kann sehr viel Schaden anrichten.
5. Was war für Sie die spannendste Web-Aktion/das interessanteste Tool?
Die Interaktion der digitalen Welt und der „echten“: Als im Juli 2010 in Stuttgart durch die diversen Internet-Plattformen innerhalb weniger Stunden tausende Bürger dazu mobilisiert wurden, vor dem Hauptbahnhof gegen die Aufstellung des Bauzauns zu protestieren. Das war umwerfend!
1. Welche Rolle hat der Protest im Netz bei S21 gespielt?
Das Netz bot eine wichtige Diskussions- und Informationsaustauschplattform, auch die Vernetzung wurde durch das Internet erheblich erleichtert. Vor allem die Seite parkschuetzer.de war ein lautes politisches Signal, schließlich konnte dort jede und jeder sehen, wie der Protest täglich größer wurde. Entscheidend war jedoch das Zusammenspiel von Internetprotest und -austausch mit dem auf der Straße. Eine politische Bewegung kann (zurzeit) nur etwas bewegen, wenn sie auch im "realen Leben" ihre Entsprechung findet.
2. Social Media kann...?
manchmal ganz schön nerven.
3. Blogger sind...?
Menschen und als solche unmöglich über einen Kamm zu scheren.
4. Und Lokaljournalisten sollten...?
Keine Angst vor Bloggern haben, sondern freudig mit ihnen zusammenarbeiten. Vor allem sollten sie sich gegen das geplante Leistungsschutzrecht in seiner jetzigen Form stark machen, denn mit einem Verbot, Links auf Zeitungsartikel zu setzen, würde sich der Journalismus massiv ins eigene Fleisch schneiden.
5. Was war für Sie die spannendste Aktion im Web oder das interessanteste Tool?
Bezogen auf den S-21-Protest waren das für mich die Reaktionen auf meinen Augenzeugenbericht am 30. September 2010 im Schlossgarten. Daraus haben sich viele interessante Dinge ergeben, zum Beispiel eine Anzeige gegen die Polizei wegen unterlassener Hilfeleistung, erstattet von einem Radiosender aus Halle. Das spannendste Tool war meiner Meinung nach der „Parkschützer-Alarm“, ein SMS-Alarm-System, das im Falle eines Baustarts für die unmittelbare Mobilisierung tausender Aktivisten gesorgt hat.
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