Presserat

„Ausländer“ gegen „Deutschen“

von

aus drehscheibe 07/19

Der Fall:

Eine Regionalzeitung berichtet online, dass ein bisher unbekannter Ausländer nach Angaben der Polizei einen 28-jährigen Deutschen mit einer Stichwaffe verletzt habe. In der Meldung wird der mutmaßliche Täter durchgehend als „Ausländer“ bezeichnet, das Opfer durchgehend als „Deutscher“. Die Redaktion stellt an das Ende der Meldung einen Zeugenaufruf der Polizei. Eine Leserin spricht von einer tendenziösen Berichterstattung, die die ausländische Herkunft des mutmaßlichen Täters und die deutsche Abstammung des Opfers gleich in der Überschrift hervorhebe und somit zur Hetze gegen Ausländer einlade. Sie sieht dadurch Richtlinie 12.1 des Pressekodex (Berichterstattung über Straftaten) verletzt.

Die Redaktion:

Der Chefredakteur weist den Vorwurf zurück. Der Kodex enthalte kein Verbot, die Zugehörigkeit von Straftätern und Verdächtigen zu Minderheiten zu erwähnen. Er verpflichte die Redaktion jedoch, in jedem einzelnen Fall verantwortungsbewusst zu entscheiden, ob für die Nennung einer Gruppenzugehörigkeit ein begründetes öffentliches Interesse vorliegt oder die Gefahr der diskriminierenden Verallgemeinerung überwiegt. Diese Entscheidung habe man in diesem Fall verantwortlich getroffen und sich dazu entschieden, die Gruppenzugehörigkeit des mutmaßlichen Täters zu nennen. Am Verlagsort sei es wiederholt zu gewalttätigen Konflikten zwischen Ausländern und Deutschen gekommen. Mit Blick darauf, dass die Polizei die entsprechende Information selbst bekannt gegeben und auch online verbreitet habe, habe die Mitteilung schon aus diesem Grund Nachrichtenwert erlangt.

Das Ergebnis:

Der Presserat erkennt einen Verstoß gegen das in Ziffer 12 des Kodex festgehaltene Diskriminierungsverbot. Er spricht einen Hinweis aus. Ein nach Richtlinie 12.1 legitimes öffentliches Interesse an der Nennung der Herkunft des Tatverdächtigen lässt sich der Berichterstattung nicht entnehmen. Dass die Polizei die nicht-deutsche Staatsangehörigkeit des Tatverdächtigen genannt hat, schafft ein solches Interesse nicht. Hierzu heißt es in den vom Presserat herausgegebenen Leitsätzen: „Auch die Nennung einer Gruppenzugehörigkeit durch Quellen, etwa durch Behörden, entbindet die Redaktion nicht von ihrer eigenständigen presseethischen Verantwortung.“ Auch dass es in der Stadt bereits zu Gewalt aufgrund unterschiedlicher Herkunft von Personen gekommen war, begründet nicht per se ein legitimes Leserinteresse.

Der Kodex:

Ziffer 12 Diskriminierungen

Niemand darf wegen seines Geschlechts, einer Behinderung oder seiner Zugehörigkeit zu einer ethnischen, religiösen, sozialen oder nationalen Gruppe diskriminiert werden.

Richtlinie 12.1 – Berichterstattung über Straftaten

In der Berichterstattung über Straftaten ist darauf zu achten, dass die Erwähnung der Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu ethnischen, religiösen oder anderen Minderheiten nicht zu einer diskriminierenden Verallgemeinerung individuellen Fehlverhaltens führt. Die Zugehörigkeit soll in der Regel nicht erwähnt werden, es sei denn, es besteht ein begründetes öffentliches Interesse. Besonders ist zu beachten, dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte.

Vivian Upmann

Autorin

Sonja Volkmann-Schluck ist Journalistin und Referentin für Öffentlichkeitsarbeit.

E-Mail: volkmann-schluck@presserat.de

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