Presserat

Den Parteifreund porträtiert

von

aus drehscheibe 02/2022

Der Fall:

Eine Regionalzeitung veröffentlicht ein wohlwollendes Porträt zum Amtsantritt des neuen Bürgermeisters einer Kleinstadt. Ein Leser sieht in dem Beitrag einen Verstoß gegen die in Ziffer 6 des Pressekodex vorgeschriebene Trennung von Tätigkeiten: Der Autor des Artikels sei Schriftführer im Ortsvorstand der Partei, der der Bürgermeister angehört, und arbeite eng mit diesem zusammen. Auf diese Tätigkeit weise die Redaktion nicht hin. Es gebe im vorliegenden Fall auch keinen triftigen Grund für eine Veröffentlichung, da erst vor Kurzem der eigentlich zuständige Redakteur den neuen Bürgermeister vorgestellt habe.

Die Redaktion:

Der Chefredakteur kann die Kritik nicht nachvollziehen und weist die Vorwürfe zurück. Ein freier Mitarbeiter habe den beanstandeten Artikel geschrieben, da sich der zuständige Redakteur zu diesem Zeitpunkt im Urlaub befunden habe. Er verwahrt sich gegen den Vorwurf, die Redaktion bevorzuge in ihrer Arbeit einseitig die betreffende Partei. Seiner Ansicht nach stellt es keine presseethisch unzulässige Doppelfunktion dar, wenn ein freier Mitarbeiter in seiner Freizeit ein unbezahltes Ehrenamt in einer politischen Partei wahrnimmt. Im ganzen Bericht – so der Chefredakteur – werde kein einziges Mal die Parteizugehörigkeit des neuen Bürgermeisters genannt. Auch der Name der Partei finde sich dort nicht.

Das Ergebnis:

Der Beschwerdeausschuss erkennt einen schweren Verstoß gegen das in Ziffer 6 des Pressekodex festgeschriebene Gebot zur Trennung von Tätigkeiten und spricht eine öffentliche Rüge aus. Der Autor des Beitrags war zum Zeitpunkt der Veröffentlichung Funktionsträger im Parteiverband des Ortes, in dem der im Artikel Porträtierte Bürgermeister ist. Er schreibt damit als lokalpolitischer Funktionsträger über einen lokalpolitischen Amtsträger. In der politischen und journalistischen Tätigkeit des Verfassers ist laut Richtlinie 6.1 des Pressekodex eine Doppelfunktion zu sehen. Erschwerend kommt hinzu, dass der Autor und der Por-trätierte derselben Partei angehören. Schon der Anschein einer Voreingenommenheit des Autors ist geeignet, das Vertrauen in die Unabhängigkeit der Zeitung und darüber hi­naus das Ansehen der Presse zu schädigen. Die Redaktion hätte deswegen sensibilisiert sein müssen, einen anderen Mitarbeiter für das Porträt einzusetzen oder zumindest den mutmaßlichen Interessenkonflikt im Artikel selbst offen zu legen.

Der Kodex:

Ziffer 6 – Trennung von Tätigkeiten

Journalisten und Verleger üben keine Tätigkeiten aus, die die Glaubwürdigkeit der Presse in Frage stellen könnten.

Richtlinie 6.1 – Doppelfunktionen

Übt ein Journalist oder Verleger neben seiner publizistischen Tätigkeit eine Funktion, beispielsweise in einer Regierung, einer Behörde oder in einem Wirtschaftsunternehmen aus, müssen alle Beteiligten auf strikte Trennung dieser Funktionen achten. Gleiches gilt im um-gekehrten Fall.

 

Autorin

Sonja Volkmann-Schluck ist Journalistin und Referentin für Öffentlichkeitsarbeit.



E-Mail: volkmann-schluck@presserat.de

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