Presserat

Den Vorsitz missachtet

von

aus drehscheibe 07/2022

Der Fall:

Ein regelmäßiger Verfasser von Leserbriefen an eine Regionalzeitung wendet sich an den Presserat. Er kritisiert, dass die Redaktion bei der Veröffentlichung zweier seiner Briefe seinen Namen, nicht aber seine Funktion als Vereinsvorsitzender genannt hat. Dabei habe er die Leserbriefe ausdrücklich in dieser Funktion und nicht als Privatperson geschrieben.

Die Redaktion:

Der zuständige Redakteur teilt mit, der vom Einsender genannte Verein trete öffentlich kaum noch in Erscheinung. Er sei vor Jahren gegründet worden, um den Bau eines neuen Eisstadions zu verhindern. Dieses sei aber nach einem Bürgerentscheid doch gebaut worden. Der Beschwerdeführer schreibe regelmäßig Leserbriefe zu un-terschiedlichen Themen – mal als Vertreter dieses Vereins, dann wieder als Privatper-son. Da die in diesem Fall relevanten Leserbriefe nicht das Eisstadion behandelt hätten, habe die Redaktion den Text als persönliche Meinungsäußerung des Beschwerdeführers eingestuft und ihn auch so veröffentlicht. Die Redaktion sei dem Beschwerdeführer jedoch entgegengekommen und habe nachträglich in einer Meldung klargestellt, dass er den Leserbrief in seiner Funktion als Vereinsvorstand verfasst habe.

Das Ergebnis:

Der Beschwerdeausschuss erkennt in den Leserbrief-Veröffentlichungen einen Verstoß gegen die in Ziffer 2 des Pressekodex festgeschriebene journalistische Sorgfaltspflicht. Zwar kann das Gremium die von der Zeitung vorgebrachten Erwägungen nachvollziehen, doch bleibt es dem Verfasser vorbehalten, darüber zu entscheiden, ob er als Privatperson oder als Funktionsträger verstanden werden will. Die Redaktion muss dies akzeptieren und kann lediglich entscheiden, Einsendungen von Funktionsträgern grundsätzlich nicht als Leserbriefe zu veröffentlichen. Eigenmächtig und ohne Rücksprache mit dem Einsender die Eigenschaft des Verfassers zu interpretieren, ist grundsätzlich nicht zulässig. Die Beschwerde ist begründet, jedoch verzichtet der Presserat darauf, eine Maßnahme auszusprechen. Grund dafür ist, dass die Redaktion nachträglich die Funktion des Einsenders klargestellt hat.

Der Kodex:

Ziffer 2.0 – Sorgfalt

Recherche ist unverzichtbares Instrument journalistischer Sorgfalt. Zur Veröffentli-chung bestimmte Informationen in Wort, Bild und Grafik sind mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen und wahrheitsgetreu wiederzugeben. Ihr Sinn darf durch Bearbeitung, Überschrift oder Bildbeschriftung weder entstellt noch verfälscht werden. Unbestätigte Meldungen, Gerüchte und Vermutungen sind als solche erkennbar zu machen. Symbolfotos müssen als solche kenntlich sein oder erkennbar gemacht werden.

Autorin

Sonja Volkmann-Schluck ist Journalistin und Referentin für Öffentlichkeitsarbeit.



E-Mail: volkmann-schluck@presserat.de

Veröffentlicht am

Zurück

Kommentare

Einen Kommentar schreiben

Kommentieren

Bei den mit Sternchen (*) markierten Feldern handelt es sich um Pflichtfelder.