Presserat

Fotos von Missbrauchsopfern

von

aus drehscheibe 05/2024

Der Fall 

Eine Regionalzeitung berichtet über die Missbrauchstaten eines inzwischen verstorbenen Geistlichen der katholischen Kirche. Sie bebildert den Artikel mit Fotos aus dem „Archiv“ des Täters, auf denen die Opfer nackt zu sehen sind. Die Gesichter und andere Körperteile der Betroffenen sind verpixelt. In der Bildunterschrift der als Filmstreifen angeordneten Fotostrecke heißt es, aus Rücksicht auf die mutmaßlichen Opfer zeige die Redaktion nur einen kleinen Ausschnitt des Materials. Ein Leser beschwert sich beim Presserat: Er hält den Artikel allein für anschaulich und drastisch genug, um das Geschehen einzuordnen. Die Fotos der jungen Opfer seien nicht notwendig. Die Abgebildeten seien vermutlich nicht um ihr Einverständnis gebeten worden.

Die Redaktion 

Der Chefredakteur räumt ein, die Redaktion habe sich erst nach gründlicher Abwägung entschieden, die sehr kleine und vergleichsweise „harmlose“ Auswahl des Materials zu veröffentlichen. Der Fall des Priesters sei beispiellos: Hier habe jemand nicht nur über Jahrzehnte Missbrauch betrieben, er habe ihn auch lückenlos dokumentiert. Die Aufklärung solcher Fälle werde aber deutlich gründlicher und energischer betrieben, wenn die Opfer ein Gesicht bekämen, wenn auch verpixelt.

Das Ergebnis 

Der Beschwerdeausschuss spricht eine öffentliche Rüge aus. Zwar besteht am Missbrauch und dem kirchlichen Umgang damit ein großes öffentliches Interesse. Ausschlaggebend aber ist die Fotostrecke: Sie zeigt Opfer, zum Teil auch mit dem Täter, in übergriffigen, demütigenden und mutmaßlich strafrechtlich relevanten Situationen. Die Fotos stammen aus der Sammlung des Täters und zeigen somit die Täterperspektive. Auch die Einbettung der Fotos in einen „Filmstreifen“ trägt zu dieser Sichtweise bei. Diese Darstellung geht über das öffentliche Informationsinteresse hinaus und überschreitet die Grenze zur unangemessen sensationellen Darstellung nach Ziffer 11 des Pressekodex. Die Opfer erfahren durch die Veröffentlichung zusätzliches Leid, die Darstellung würdigt sie erneut herab. Der Beschwerdeausschuss erkennt an, dass die Redaktion eine Auswahl der weniger drastischen Fotos getroffen hat. Dies ändert jedoch nichts daran, dass auch diese die Täterperspektive transportieren und es sich um Material handelt, das durch schwere Straftaten an Jugendlichen entstand. Trotz der Verpixelung liegt auch ein Verstoß gegen den Schutz der Persönlichkeit nach Ziffer 8 vor. Denn die Fotos greifen in die Intimsphäre der abgebildeten Opfer ein.

Der Kodex

Ziffer 8 – Schutz der Persönlichkeit

Die Presse achtet das Privatleben des Menschen und seine informationelle Selbstbestimmung. Ist aber sein Verhalten von öffentlichem Interesse, so kann es in der Presse erörtert werden. Bei einer identifizierenden Berichterstattung muss das Informationsinteresse der Öffentlichkeit die schutzwürdigen Interessen von Betroffenen überwiegen; bloße Sensationsinteressen rechtfertigen keine identifizierende Berichterstattung. Soweit eine Anonymisierung geboten ist, muss sie wirksam sein. Die Presse gewährleistet den redaktionellen Datenschutz.

Ziffer 11 – Sensationsberichterstattung, Jugendschutz

Die Presse verzichtet auf eine unangemessen sensationelle Darstellung von Gewalt, Brutalität und Leid. Die Presse beachtet den Jugendschutz.

Autorin

Sonja Volkmann-Schluck ist Journalistin und Referentin für Öffentlichkeitsarbeit.



E-Mail: volkmann-schluck@presserat.de

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