Ein Fall für den Presserat

Schleichwerbung

von

Der Fall:

Es ist eine ungewöhnliche Aktion: Eine Tageszeitung vergibt für einen Tag den Posten des Chefredakteurs. In einem Artikel berichtet die Zeitung darüber und zeigt ein Bild vom neuen Blattmacher. Es ist der Chef einer großen Krankenkasse der Region. Die Leser erfahren, dass er für die Ausgabe dieses Tages gemeinsam mit der Redaktion die Themen ausgewählt hat. Die Ausgabe beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit der Frage: „Was ist uns die Gesundheit wert?“ Der Leitartikel ist vom Chef der Krankenkasse selbst geschrieben. Im Innenteil erscheinen insgesamt acht Artikel zum Thema Gesundheit, etwa unter der Überschrift „Entspannung bei Zumba in der Mittagspause“. Hier interviewt die Redaktion den Betriebssportleiter besagter Krankenkasse. Unter der Überschrift „Musizieren im Einklang mit dem Körper“ stellt die Redaktion eine Zusammenarbeit zwischen dem Landesjugendorchester und der Krankenkasse vor. Die Aktion stößt auf Kritik. Ein Leser sieht die Trennung von Werbung und Redaktion verletzt. Dieser Grundsatz gelte auch für die Gesamtkonzeption der Ausgabe, meint er. Schon der Leitartikel sei ein werbliches Statement für die Krankenkasse. Auch die anderen Gesundheitsartikel würden die Krankenkasse mehrfach herausheben.

Die Redaktion:

Der Chefredakteur der Zeitung versichert, dass kein Geld für die Veröffentlichung bezahlt worden sei und kein Kopplungsgeschäft vorgelegen habe. Die Ausgabe sei Teil der Serie „Gast-Chefredakteure“, die seit dem Jahr 2007 drei- bis viermal im Jahr erscheine. Die Redaktion wähle hierfür gemeinschaftlich Persönlichkeiten aus dem öffentlichen Leben aus. Für das Thema „Was ist uns die Gesundheit wert?“ sei die Wahl auf den Chef der größten Krankenkasse im Verbreitungsgebiet gefallen. Bei dieser handele es sich um eine öffentlich-rechtliche Körperschaft, die Träger der Krankenversicherung und Teil des Gesundheitssystems und der Sozialversicherung sei. Bis auf den Leitartikel seien alle Beiträge von der Redaktion selbst erarbeitet worden. Der Inhalt sei vom öffentlichen Interesse gedeckt, sagt der Chefredakteur.

Das Ergebnis:

Der Presserat bestätigt die Sicht des Lesers. Die Zeitung verstoße gegen den Grundsatz der klaren Trennung von Werbung und Redaktion nach Ziffer 7 des Pressekodex, eine Missbilligung wird ausgesprochen. Grundsätzlich sei die Aktion „Gast-Chefredakteure“ nicht zu beanstanden. In diesem Fall resultierten hieraus jedoch acht Artikel, in denen ausschließlich die Aktivitäten der Krankenkasse des „Chefredakteurs“ eine Rolle spielten. Diese Häufung sei redaktionell nicht mehr zu begründen, auch nicht mehr im Rahmen des Rollenspiels. Die Folge: Es ent­stehe eine Werbewirkung für die Krankenkasse, die nicht gerechtfertigt sei durch ein Leserinteresse an der Berichterstattung. Das Fazit des Presserats lautet: Die Grenze zwischen einer Berichterstattung von öffentlichem Interesse und Schleichwerbung werde überschritten.

Der Kodex:

Ziffer 7 – Trennung von Werbung und Redaktion

Die Verantwortung der Presse gegenüber der Öffentlichkeit gebietet, dass redaktionelle Veröffentlichungen nicht durch private oder geschäftliche Interessen Dritter oder durch persönliche wirtschaftliche Interessen der Journalistinnen und Journalisten beeinflusst werden. Verleger und Redakteure wehren derartige Versuche ab und achten auf eine klare Trennung zwischen redaktionellem  Text und Veröffentlichungen zu werblichen Zwecken.Bei Veröffentlichungen, die ein Eigeninteresse des Verlages betreffen, muss dieses erkennbar sein.

Edda Eick

Autorin

Edda Kremer ist Journalistin und Referentin für Öffentlichkeitsarbeit.
Telefon 030 – 36 70 07-0
E-Mail: eick@presserat.de

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