Presserat

Schnappschüsse vom Unfall

von

aus drehscheibe 14/2022

Der Fall 

Ein Nachrichtenmagazin zeigt online Fotos und ein Video von einem Zugunglück bei Garmisch-Partenkirchen, bei dem Anfang Juni mehrere Menschen ums Leben gekommen sind. Unter der Überschrift „Amateuraufnahmen zeigen Zugunglück bei Garmisch“ veröffentlicht die Redaktion auch Handy-Fotos und ein Video, die von Privatpersonen stammen. Drei Leser beschweren sich beim Presserat und werfen der Redaktion vor, sogenannte „Gaffervideos“ veröffentlicht zu haben. Das verstoße gegen die Grundsätze der Recherche nach Ziffer 4, Richtlinie 4.1. Ein Beschwerdeführer fragt, ob es in Ordnung sei, dass die Redaktion mit der Veröffentlichung der Videos niedere Instinkte bediene. Er sieht einen Verstoß gegen die Achtung der Menschenwürde nach Ziffer 1 und findet die Berichterstattung übertrieben sensationell nach Ziffer 11 des Pressekodex. Privatfotos von Unfällen stünden unter Strafe, und die Veröffentlichung fördere das Gaffertum.

Die Redaktion 

Die Rechtsvertretung des Magazins weist die Beschwerden als unbegründet zurück. Sie hält die Veröffentlichung der Fotos für unbedenklich, schließlich bestehe ein öffentliches Interesse daran, das Ausmaß von Katastrophen auch optisch zu erfassen. Gaffer vor Ort würden angezeigt, wenn sie potenziell Einsatzkräfte oder den Verkehr behinderten und nicht dafür, dass sie die Szenen nur betrachteten. Auch ein Ausschnitt des Videos, auf dem Rettungskräfte eine verletzte Person transportieren, verletze nicht den Pressekodex. Zwar sei ein Arm der Person zu sehen, jedoch seien weder der Verletzte noch weitere Details erkennbar. Die Aufnahmen seien weder unangemessen noch respektlos.

Das Ergebnis 

Der Beschwerdeausschuss sieht in der Veröffentlichung der Amateuraufnahmen keinen Verstoß gegen den Pressekodex. Die Beschwerde ist unbegründet. Die Presse darf Fotos unabhängig von ihrer Quelle veröffentlichen, solange diese von öffentlichem Interesse sind. Das Interesse war wegen der hohen Relevanz des Zugunglücks zweifellos gegeben. Insofern lag kein Verstoß gegen die Richtlinien zur Recherche nach Ziffer 4, Richtlinie 4.1, des Pressekodex vor. Auch inhaltlich sind die gezeigten Fotos nicht zu beanstanden. Die Fotos von der Unglücksstelle sind nicht übertrieben sensationell, unangemessen oder respektlos gegenüber den Opfern und deren Angehörigen.

Der Kodex

Ziffer 4: Grenzen der Recherche

Bei der Beschaffung von personenbezogenen Daten, Nachrichten, Informationsmaterial und Bildern dürfen keine unlauteren Methoden angewandt werden.

Ziffer 11: Sensationsberichterstattung, Jugendschutz

Die Presse verzichtet auf eine unangemessen sensationelle Darstellung von Gewalt, Brutalität und Leid. Die Presse beachtet den Jugendschutz.

Autorin

Sonja Volkmann-Schluck ist Journalistin und Referentin für Öffentlichkeitsarbeit.



E-Mail: volkmann-schluck@presserat.de

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