Presserat

Umgang mit Leserbriefen

von

aus drehscheibe 12/2021

Der Fall:

Eine Lokalzeitung berichtet über einen Einbruch auf einem Bauernhof. Der Dieb habe wohl ein Schild des Eigentümers übersehen, in dem in deutscher und polnischer Sprache darauf hingewiesen werde, dass der Hof videoüberwacht werde. Die Beschwerdeführerin schreibt eine Mail an die Redaktion, da sie das Schild als diskriminierend empfindet. Die Redaktion veröffentlicht die E-Mail nicht als Leserbrief, zitiert aber in einem Artikel daraus. Die Beschwerdeführerin moniert, dass in dem Folgebeitrag aus ihrem Leserbrief zitiert wird, ohne dass sie dies gestattet habe. Ferner kritisiert sie gegenüber dem Presserat, die Redaktion habe unberechtigt ihre E-Mail an den Hofbesitzer weitergegeben, der sie seitdem mit Drohungen und Anschuldigungen überziehe. Zudem habe sich dieser an ihren Arbeitgeber gewandt und behauptet, sie habe die E-Mail an die Redaktion von ihrem Dienstcomputer während ihrer Arbeitszeit geschrieben.

Die Redaktion:

Die Redaktion bestreitet, die E-Mail an den Hofbesitzer weitergegeben zu haben. Zwar habe dieser den Namen der Leserbriefschreiberin wissen wollen und gefragt, wann die E-Mail bei der Redaktion eingegangen sei. Die Redaktion habe ihm aber nur die Uhrzeit der Mail mitgeteilt, jedoch weder den Namen der Verfasserin noch sonstige Informationen über sie weitergegeben. Da sich die Beschwerdeführerin auch an Lokalpolitiker gewandt habe, könne der Hofbesitzer diese Information auch von anderer Seite bekommen haben. Zudem habe die Redaktion den Eindruck gewonnen, dass beide nicht zum ersten Mal aneinandergeraten seien. Die Redaktion hält es für gerechtfertigt, dass sie Zitate aus dem Leserbrief für die Berichterstattung verwendet hat. Die Beschwerdeführerin habe in ihrer E-Mail an die Redaktion mit keinem Wort erwähnt, dass es sich um einen Leserbrief handle. Zudem sei die Mail auch nur teilweise und anonymisiert in die Berichterstattung eingeflossen.

Das Ergebnis:

Der Presserat erkennt einen Verstoß gegen die journalistische Sorgfaltspflicht nach Ziffer 2 des Pressekodex und spricht eine Missbilligung aus, da die Redaktion ohne Einverständnis der Beschwerdeführerin in ihrer Berichterstattung aus ihrer E-Mail zitiert und mailbezogene Informationen an einen Redaktionsfremden weitergegeben hat. Die E-Mail ist nach Richtlinie 2.6, Absatz 2 als Leserbrief zu bewerten, da sich die Schreiberin hierin zu einer Veröffentlichung äußert. Dies würde zwar den Abdruck als Leserbrief ermöglichen, wenn aber Zitate hieraus in die eigene Berichterstattung einfließen sollen, muss die Redaktion vorher die Verfasserin um Erlaubnis bitten. Dass die Redaktion die E-Mail der Beschwerdeführerin an den Hofbesitzer weitergegeben hat, sieht der Presserat hingegen für nicht erwiesen an. In der Weitergabe der Uhrzeit des Posteingangs an den Hofbesitzer sieht der Presserat einen Verstoß gegen das Redaktionsgeheimnis nach Ziffer 2 des Pressekodex. Diese Information geht Dritte nichts an.

 

Der Kodex:

Richtlinie 2.6 – Leserbriefe (Auszug)

(1) Bei der Veröffentlichung von Leserbriefen sind die Publizistischen Grundsätze zu beachten. Es dient der wahrhaftigen Unterrichtung der Öffentlichkeit, im Leserbriefteil auch Meinungen zu Wort kommen zu lassen, die die Redaktion nicht teilt.

(2) Zuschriften an Verlage oder Redaktionen können als Leserbriefe veröffentlicht werden, wenn aus Form und Inhalt erkennbar auf einen solchen Willen des Einsenders geschlossen werden kann. Eine Einwilligung kann unterstellt werden, wenn sich die Zuschrift zu Veröffentlichungen des Blattes oder zu allgemein interessierenden Themen äußert. Der Verfasser hat keinen Rechtsanspruch auf Abdruck seiner Zuschrift.

(5) Alle einer Redaktion zugehenden Leserbriefe unterliegen dem Redaktionsgeheimnis. Sie dürfen in keinem Fall an Dritte weitergegeben werden.

Autorin

Kerstin Lange ist Referentin für Recht und Redaktionsdatenschutz beim Deutschen Presserat.

E-Mail: lange@presserat.de

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