Presserat

Unfallbericht mit Fehler

von

aus drehscheibe 09/2023

Der Fall 

Eine Zeitung berichtet online über einen Unfall. Die Überschrift lautet: „Vom Bus verdeckt – 15-Jähriger läuft auf die Straße und wird von Auto erfasst“. Ein am Straßenrand haltender Bus – mit eingeschalteter Warnblinkanlage – habe einem 81-jährigen Autofahrer die Sicht versperrt. Der Junge sei im „Windschatten“ des Busses auf die Straße gelaufen. Der Autofahrer sei vom plötzlichen Auftauchen des Jungen überrascht worden, er habe keine Chance gehabt. Der Wagen habe den jungen Mann erfasst und schwer verletzt. Drei Beschwerdeführer kritisieren eine Täter-Opfer-Umkehr. In der Straßenverkehrsordnung stehe, dass an Linienbussen mit eingeschalteter Warnblinkanlage nur im Schritttempo vorbeigefahren werden dürfe. Im Beitrag der Zeitung werde auf die Gesetzeslage nicht eingegangen.

Die Redaktion 

Der Chefredakteur räumt ein, dass die Kritik nicht ganz unberechtigt sei. Gleichwohl habe man die Einschätzung eines Polizisten wiedergegeben. Der habe in einem Telefonat mitgeteilt, dass der Autorfahrer keine Chance gehabt habe, die Kollision zu vermeiden. Damit sei selbstverständlich keine Schuldzuweisung zulasten des Unfallopfers verbunden. Dennoch könne dieser Eindruck entstehen, weil man die Einschätzung nicht der Quelle – dem Polizisten – zugeordnet habe. Das sei ein handwerklicher Fehler, den die Redaktion bedauere. Der Chefredakteur verweist auf die stark verdichteten Arbeitsprozesse. Damit sei man vor Fehlern weniger gefeit denn je. Das entschuldige diese und andere Fehler in keiner Weise, erkläre ihr Zustandekommen aber. Die Redaktion sei jeden Tag bemüht, die Zahl der Fehler zu minimieren.

Das Ergebnis 

Der Beschwerdeausschuss erkennt einen Verstoß gegen die in Ziffer 2 des Pressekodex festgeschriebene journalistische Sorgfaltspflicht. Er spricht einen Hinweis aus. Das Gremium verneint in der Gesamtschau der Berichterstattung eine Täter-Opfer-Umkehr. Die Umstände, die zum Unfall geführt haben, gehen hinreichend aus dem Artikel hervor. Wie die Zeitung in ihrer Stellungnahme einräumt, wurde die Aussage, wonach der Autofahrer keine Chance gehabt habe, nicht als Zitat eines Polizeibeamten gekennzeichnet. Sie vermittelt stattdessen den Eindruck einer redaktionellen Einordnung. Es handelt sich hier um eine stark wertende Einschätzung des Sachverhalts, die der entsprechenden Informationsquelle hätte zugeordnet werden müssen.

Der Kodex

Ziffer 2 – Sorgfalt

Recherche ist unverzichtbares Ins­trument journalistischer Sorgfalt. Zur Veröffentlichung bestimmte Informationen in Wort, Bild und Grafik sind mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen und wahrheitsgetreu wiederzugeben. Ihr Sinn darf durch Bearbeitung, Überschrift oder Bildbeschriftung weder entstellt noch verfälscht werden. Unbestätigte Meldungen, Gerüchte und Vermutungen sind als solche erkennbar zu machen. Symbolfotos müssen als solche kenntlich sein oder erkennbar gemacht werden.

Autorin

Sonja Volkmann-Schluck ist Journalistin und Referentin für Öffentlichkeitsarbeit.



E-Mail: volkmann-schluck@presserat.de

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