Presserat

Vom Hund zum Wolf

von

aus drehscheibe 10/2024

Der Fall 

„Mann nach möglichem Wolfsangriff schwer verletzt“: Unter dieser Überschrift berichtet die Mitgliederzeitschrift eines Jagdverbands über einen Mann, der bei einem Spaziergang mit seinem Hund angeblich von einem anderen Tier angegriffen und schwer verletzt worden ist. Dabei habe es sich möglicherweise um den ersten Wolfsübergriff auf einen Menschen in Brandenburg gehandelt, schreibt die Redaktion. Bebildert ist der Text mit einem zähnefletschenden Wolf.

Eine Leserin wendet sich an den Presserat und erklärt, schon vor der Veröffentlichung des Artikels habe festgestanden, dass der Angreifer ein Hund war. Der Artikel unterstelle jedoch, dass ein Wolf der Verursacher der Verletzungen gewesen sei. Die Leserin bemängelt überdies, dass die angegebene Anzahl der Wölfe in Brandenburg nicht den Tatsachen entspricht. Wie sich aus amtlichen Zahlen recherchieren lasse, gebe es in Brandenburg höchstens 540 Wölfe und keineswegs die angegebenen 1.000. Außerdem kritisiert sie, dass die Redaktion das beigestellte Foto nicht als Symbolbild kenntlich gemacht hat.

Die Redaktion 

Der Chefredakteur bestreitet, dass das Ergebnis der genetischen Untersuchung bereits vor dem Druck des Artikels festgestanden habe. Die Redaktion habe ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Proben sich noch in der Auswertung befänden. Zusätzlich sei aus der Stellungnahme des Landesamtes für Umwelt zitiert worden, dass es sich zwar vermutlich um einen Hund gehandelt habe, ein Wolfsübergriff jedoch nicht ausgeschlossen werden könne.

Das Ergebnis 

Der Beschwerdeausschuss beschließt eine öffentliche Rüge wegen eines schweren Verstoßes gegen die journalistische Sorgfaltspflicht. Der Artikel wurde mit einer nicht als Symbolfoto gekennzeichneten Abbildung eines aggressiven Wolfes illustriert und gibt im Wesentlichen Kritik der Jägerschaft an der Wolfspopulation wieder. Damit wird suggeriert, dass ein Wolfsangriff als überwiegend wahrscheinliches Szenario gelten kann. Erst am Ende des Textes heißt es, laut Landesamt für Umwelt würden die bisherigen Schilderungen des Verletzten und des Polizeiberichts nahelegen, dass es sich bei dem Angreifer um einen Hund gehandelt hat. Das Gremium sieht darin eine Irreführung der Leserschaft. Zudem ist die Angabe: „Allein über 1.000 Wölfe in Brandenburg!“ nicht hinreichend von offiziellen Informationen gedeckt.

Der Kodex

Ziffer 2 – Sorgfalt

Recherche ist unverzichtbares Instrument journalistischer Sorgfalt. Zur Veröffentlichung bestimmte Informationen in Wort, Bild und Grafik sind mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen und wahrheitsgetreu wiederzugeben. Ihr Sinn darf durch Bearbeitung, Überschrift oder Bildbeschriftung weder entstellt noch verfälscht werden. Unbestätigte Meldungen, Gerüchte und Vermutungen sind als solche erkennbar zu machen. Symbolfotos müssen als solche kenntlich sein oder erkennbar gemacht werden.

Autorin

Sonja Volkmann-Schluck ist Journalistin und Referentin für Öffentlichkeitsarbeit.



E-Mail: volkmann-schluck@presserat.de

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