Presserat

Wenn ein Journalist Politik macht

von

aus drehscheibe 11/20

Der Fall:

Eine lokale Nachrichten-Plattform analysiert die wirtschaftliche Situation der Kommune in Zeiten von Corona. Hierin äußert sich der Autor kritisch über die Kompetenz des neuen Stadtrats. In einer anderen Veröffentlichung kommentiert er den Wahlkampf des amtierenden Oberbürgermeisters. Der Presserat erhält hierzu zwei Beschwerden. Die Beschwerdeführer weisen darauf hin, dass der Autor beider Beiträge kurz zuvor für die Partei des amtierenden Oberbürgermeisters für den Stadtrat kandidiert hatte und dessen Unterstützer ist. Mit den Veröffentlichungen schaffe man die Unabhängigkeit und Glaubwürdigkeit des Mediums ab.

Die Redaktion:

Nach Meinung der Redaktion stellen die politischen Aktivitäten des Autors die Glaubwürdigkeit der Presse nicht infrage. Es sei zwar richtig, dass der Autor der Texte bei der Kommunalwahl für die Partei des Oberbürgermeisters kandidiert habe. Er sei allerdings kein Mitglied der Partei.

Das Ergebnis:

Der Beschwerdeausschuss sieht einen Verstoß gegen das Gebot der Trennung von Tätigkeiten nach Ziffer 6 des Pressekodex. Er spricht eine Rüge aus. In Ziffer 6 kommt der Gedanke zum Ausdruck, dass Journalistinnen und Journalisten Kon­stellationen vermeiden sollen, in denen ein potenzieller Interessenkonflikt zwischen journalistischen und sonstigen Tätigkeiten besteht. Denn hier existiert die Gefahr einer interessengeleiteten Berichterstattung. Dies gilt unabhängig davon, ob der Beitrag tatsächlich „gefärbt“ ist oder nicht oder ob es sich um einen rein faktenbasierten Bericht oder um einen Meinungsartikel handelt. Auch bei Meinungsartikeln sollen die Leser sich darauf verlassen dürfen, dass sich der Autor die Meinung unabhängig gebildet hat. Im vorliegenden Fall kann bei den Lesern der Eindruck entstehen, der Journalist benutze seine Autorenschaft zur Durchsetzung eigener oder parteipolitischer Ziele. Dies ist geeignet, das Ansehen der Presse erheblich zu beschädigen.

Der Kodex:

Ziffer 6 – Trennung von Tätigkeiten

Journalisten und Verleger üben keine Tätigkeiten aus, die die Glaubwürdigkeit der Presse infrage stellen könnten.

Richtlinie 6.1 – Doppelfunktionen

Übt ein Journalist oder Verleger neben seiner publizistischen Tätigkeit eine Funktion, beispielsweise in einer Regierung, einer Behörde oder in einem Wirtschaftsunternehmen aus, müssen alle Beteiligten auf strikte Trennung dieser Funktionen achten. Gleiches gilt im umgekehrten Fall.

Autorin

Kerstin Lange ist Referentin für Recht und Redaktionsdatenschutz beim Deutschen Presserat.

E-Mail: lange@presserat.de

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