Wenn vier Kandidaten fehlen
von Sonja Volkmann-Schluck
aus drehscheibe 04/2022
Der Fall:
Eine Regionalzeitung berichtet online und gedruckt über die Direktkandidaten zur Bundestagswahl im heimischen Wahlkreis. Von acht Direktkandidaten ist die Rede. Diese werden namentlich genannt und vorgestellt. Mehrere Leser wenden sich anschließend mit einer Beschwerde an den Presserat. Sie monieren, dass zwölf Kandidaten im Wahlkreis kandidiert haben, aber nur acht von ihnen von der Zeitung vorgestellt wurden.
Die Redaktion:
Die Rechtsvertretung der Zeitung hält die Beschwerden für unbegründet. Die Redaktion habe eine Auswahl getroffen. Vier Kandidaten seien nicht präsentiert worden. Dieses Vorgehen sei im Rahmen der politischen Berichterstattung üblich und auch zulässig. Eine Berichterstattung im identischen Umfang über sämtliche Direktkandidaten auch von kleineren Parteien sei nicht zu erwarten. Im Vorfeld der Wahl sei über die Direktkandidaten der sieben Parteien mit den meisten Erststimmen der vorherigen Wahl von 2017 berichtet worden sowie über den Kandidaten der Freien Wähler, die als Koalitionspartei an der Landesregierung beteiligt seien. Der Autor des Beitrages nimmt ebenfalls Stellung. Er sei anonym von einer Frau angerufen worden. Sie habe sich über den Bericht beschwert und gesagt, dass sie ihren Landesvorstand einschalten werde. Es sei wohl um die Partei „Die Basis“ gegangen. Die Einordnung der Partei und ihrer Entstehungsgeschichte, Stichwort „Querdenker“-Szene, hätte den Rahmen der gewählten Darstellungsform als „Kurzvorstellung“ gesprengt.
Das Ergebnis:
Der Beschwerdeausschuss erkennt einen Verstoß gegen die in Ziffer 2 des Pressekodex festgeschriebene journalistische Sorgfaltspflicht. Er spricht einen Hinweis aus. Der Zeitung ist darin zuzustimmen, dass sie dazu berechtigt ist, bei der Wahlkampfbericht-erstattung über Kandidaten eine Auswahl zu treffen. Nach ständiger Spruchpraxis des Presserats muss eine solche Auswahl der Leserschaft gegenüber allerdings transpa-rent gemacht werden. In diesem Fall entsteht jedoch der Eindruck, es würden alle antretenden Kandidaten vorgestellt. Ein solcher irreführender Eindruck verstößt gegen die Standards journalistischer Sorgfalt.
Der Kodex:
Ziffer 2 – Sorgfalt
Recherche ist unverzichtbares Instrument journalistischer Sorgfalt. Zur Veröffentli-chung bestimmte Informationen in Wort, Bild und Grafik sind mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen und wahrheitsgetreu wiederzugeben. Ihr Sinn darf durch Bearbeitung, Überschrift oder Bildbeschriftung weder entstellt noch verfälscht werden. Unbestätigte Meldungen, Gerüchte und Vermutungen sind als solche erkennbar zu machen. Symbolfotos müssen als solche kenntlich sein oder erkennbar gemacht werden.
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