Presserat

Zeitungen im Zwiespalt

von

Der Fall:

Eine Regionalzeitung berichtet in ihrer Online-Ausgabe über einen Vorfall in einem Regionalzug: Ein 27-jähriger Ghanaer habe dort laut einer Polizeimeldung seinen dreijährigen Sohn geschlagen, wurde vorläufig festgenommen und zerstörte daraufhin den Durchsuchungsraum der Bundespolizei. Eine Leserin beschwert sich beim Presserat, weil die Zeitung die Nationalität des mutmaßlichen Täters erwähnt hat. Dass er Ghanaer sei, spiele für das Verständnis des Vorfalls keine Rolle und könne zu einer diskriminierenden Verallgemeinerung von Vorurteilen gegenüber Ausländern führen, argumentiert sie.

Die Redaktion:

Der Chefredakteur erklärt, Grundlage der Meldung sei eine Pressemitteilung der Bundespolizei, die den Hinweis auf die Nationalität des Mannes enthalten habe. Die Herkunft des Mannes sei also ohnehin schon veröffentlicht, da die Polizeimeldung über die sozialen Netzwerke stark verbreitet werde. Seine Redaktion setze sich regelmäßig dem Vorwurf der Leserschaft aus, weder vollständig noch angemessen zu berichten, wenn sie Informationen unterschlage. Das beschädige ihre Glaubwürdigkeit, zumal solche Debatten offensiv im Netz gegen sie geführt würden. Der Auftrag der Zeitung sei Aufklärung. In der Meldung stehe außerdem, dass der Mann englisch sprach. Diese Information lasse sich nur auflösen, wenn in dem Artikel auch seine Nationalität genannt werde.

Das Ergebnis:

Der Presserat stellt fest, dass in diesem Fall kein begründetes öffentliches Interesse an der Nationalität des Tatverdächtigen besteht. Weder die Schwere der Tat noch andere im Pressekodex festgelegten Kriterien rechtfertigen dies. Der Presserat sieht einen Verstoß gegen die in Richtlinie 12.1 des Pressekodex geforderte Vermeidung von Diskriminierungen und spricht einen Hinweis aus.

Auch dass der Mann englisch sprach, ist nicht erheblich für das Verständnis des Tathergangs. Dass die Polizei in ihren Meldungen und in den sozialen Medien oft die Nationalität von Tatverdächtigen nennt, ist dem Presserat bewusst – ebenso der Zwiespalt der Redaktionen: entweder sich dem Vorwurf auszusetzen, Informationen zu unterschlagen, oder im Dienst der „Aufklärung“ verallgemeinernde Diskriminierungen zu riskieren. Der Presserat rät, jeden Fall sorgfältig abzuwägen: Es ist die Kernaufgabe des Journalismus, Informationen auszuwählen und zu gewichten. Die Weglassung von Details wie die Nationalität verstößt nicht zwangsläufig gegen das Wahrhaftigkeitsgebot nach Ziffer 1 des Pressekodex. Im Zweifel sollten Redaktionen ihre Auswahlkriterien den Lesern erklären oder selbst zum Thema in den Sozialen Medien machen.

Der Kodex:

Richtlinie 12.1 – Berichterstattung über Straftaten

In der Berichterstattung über Straftaten ist darauf zu achten, dass die Erwähnung der Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu ethnischen, religiösen oder anderen Minderheiten nicht zu einer diskriminierenden Verallgemeinerung individuellen
Fehlverhaltens führt. Die Zugehörigkeit soll in der Regel nicht erwähnt werden, es sei denn, es besteht ein begründetes öffentliches Interesse. Besonders ist zu beachten, dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte.

Vivian Upmann

Autorin

Sonja Volkmann-Schluck ist Journalistin und Referentin für Öffentlichkeitsarbeit.

E-Mail: volkmann-schluck@presserat.de

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