Beim Feiern fotografiert
von Oliver Stegmann
Kürzlich hat es ein alltäglicher Fall bis zum Bundesgerichtshof (BGH) geschafft, der unmittelbar auf die Lokalberichterstattung übertragbar ist. Auf einem Mieterfest wurden im Auftrag einer Wohnungsbaugesellschaft Fotos von den Besuchern gemacht und anschließend in einer Broschüre der Gesellschaft veröffentlicht. Diese erschien in einer Auflage von 2.800 Stück und wurde nur an die Mieter der Genossenschaft verteilt. Auf einem der Fotos waren die Klägerinnen abgebildet: Großmutter, Tochter und Enkelin. Außer einem Hinweis auf das Mieterfest und der Ankündigung eines neuen Fests im kommenden Jahr enthielt der Beitrag keine Wortberichterstattung. Die Abgebildeten hatten keine Einwilligung zur Veröffentlichung des Fotos gegeben. Anhaltspunkte dafür, dass sie heimlich fotografiert worden waren, gab es nicht. Die Klägerinnen verlangten unter anderem eine Unterlassung der Verbreitung des Fotos und Ersatz der ihnen entstandenen Rechtsanwaltskosten neben Zahlung einer Geldentschädigung in Höhe von 3.000 Euro. Zu Recht?
Grundlage der geltend gemachten Ansprüche ist das Recht am eigenen Bild, das Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist. Seine gesetzliche Grundlage findet dieses Recht im Kunst- und Urhebergesetz (KUG) aus dem Jahr 1907. Dort ist geregelt, dass die Verbreitung des Bildnisses einer Person grundsätzlich nur dann zulässig ist, wenn die Person in die Verbreitung einwilligt. Das KUG sieht aber von diesem Grundsatz einige Ausnahmen vor, und zwar in Paragraf 23 KUG. Danach ist die Einwilligung des Abgebildeten unter anderem dann entbehrlich, wenn das Bildnis aus dem „Bereich der Zeitgeschichte“ stammt. Diese Ausnahme hatte der Gesetzgeber im Interesse der Meinungsäußerungsfreiheit vorgesehen, weil er bereits im Jahr 1907 erkannt hatte, dass es einen absoluten Schutz der Persönlichkeit nicht geben kann, insbesondere im Interesse der Meinungsfreiheit. Das Grundgesetz, in dem die Meinungsäußerungs- und Pressefreiheit in Artikel 5 dann 1949 festgeschrieben wurde, schuf hierfür den notwendigen Rahmen.
Die entscheidende Frage im vorliegenden Fall war daher, ob es sich bei diesem Fest um ein zeitgeschichtliches Ereignis im Sinne des KUG handelt. Der Bundesgerichtshof legt den Begriff „zeitgeschichtliches Ereignis“ im Interesse der Meinungsfreiheit weit aus. Treffender als Zeitgeschichte wäre der Begriff Zeitgeschehen. Der Begriff umfasst alle Fragen von allgemeinem gesellschaftlichem Interesse. Als zeitgeschichtliches Ereignis werden also nicht nur Geschehnisse wie der Fall der Mauer oder Ähnliches angesehen, sondern auch solche, die nur auf regionaler oder lokaler Ebene von Bedeutung sind. Der Bundesgerichtshof ordnete das Mieterfest als zeitgeschichtliches Ereignis ein, wobei auch eine Rolle gespielt haben dürfte, dass das Foto nur in einem Kreis verbreitet worden war, der in einer Beziehung zu diesem Fest stand.
Die Entscheidung wurde vereinzelt recht kritisch aufgenommen. Sie stelle zu geringe Anforderungen an das Zeitgeschehen und passe nicht mehr in das Gefüge der anderen im KUG vorgesehenen Ausnahmen. Diese Kritik greift aber dann nicht, wenn man die Anforderungen an die Bedeutung des zeitgeschichtlichen Ereignisses in Relation zum Umfang der Verbreitung der jeweiligen Fotografie setzt. Oder anders formuliert: Ein „kleines“ Ereignis rechtfertigt eine geringe Verbreitung – ein großes Ereignis eine größere.
Für die Praxis bedeutet die Entscheidung des Bundesgerichtshofs, dass für das Berichterstattungsinteresse auf lokaler Ebene andere Anforderungen gelten als auf überregionaler Ebene. Das Schützen- oder Kirmesfest kann – in Abhängigkeit vom Verbreitungsgebiet einer Äußerung – ebenso Zeitgeschehen darstellen wie der Staatsempfang. Fotos von Personen, die an diesen Ereignissen teilgenommen haben, dürften dann ohne deren Einwilligung verbreitet werden. Aber Vorsicht: Bei dieser Argumentation ist dann Zurückhaltung angesagt, wenn der Umfang der Verbreitung in keinem angemessenen Verhältnis mehr zur Bedeutung des zeitgeschichtlichen Ereignisses steht – wie das bei der Verbreitung von Fotos im Internet regelmäßig der Fall sein dürfte. Mit dieser Konstellation hat sich der BGH nicht auseinandergesetzt.
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