Presserecht

Gefahr für Online-Archive

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aus drehscheibe 03/19

Ende des vorigen Jahres hat das Bundesverfassungsgericht zwei seit vielen Jahren erwartete Entscheidungen zum „Recht auf Vergessenwerden“ veröffentlicht. Eine der Entscheidungen hat Folgen für Online-­Archive von Zeitungen. Welche das sind, ist derzeit noch nicht absehbar, weil das ­Bundesverfassungsgericht den Fall an die Instanzgerichte zurückverwiesen hat.

In dem Fall ging es um die Klage von Paul T., der 1982 wegen der Morde am Eigner der Hochseejacht Apollonia und an dessen Freundin verurteilt worden war. Nach 17 Jahren Haft wurde T. 1999 entlassen. Der Spiegel hatte über den aufsehenerregenden Prozess in den 80er-Jahren dreimal berichtet. Ebenfalls 1999 stellte der Spiegel die Artikel alter Ausgaben in einem frei zugänglichen und für Suchmaschinen durchsuchbaren Online-Archiv jedem Internetnutzer kostenlos zur Verfügung. Abrufbar sind seither auch die drei Artikel über den Mordprozess.

Obwohl der Spiegel sich sehr kritisch mit dem Strafurteil auseinandersetzte, störte sich T. an der Berichterstattung. Das lag wohl vor allem daran, dass die Spiegel-Texte bei einer Google-Suche nach dem Namen von T. an erster Stelle standen. Natürlich war dieser Umstand fatal für die Resozialisierung von T. Im Jahr 2009 klagte er daher gegen den Spiegel auf Unterlassung, verlor aber 2012 vor dem Bundesgerichtshof (BGH). Der BGH entschied damals, dass T.s Name zum Zeitpunkt des Erscheinens der Berichte 1982 zweifellos genannt werden durfte. Dann könne die Namensnennung im Jahr 2012 jedoch nicht alleine aufgrund des „Zeitablaufs“ unzulässig werden. Teil des Informationsauftrags der Medien sei es auch, zurückliegende Publikationen verfügbar zu halten.

Gegen diese Entscheidung erhob T. Verfassungsbeschwerde, die erfolgreich war. In seiner Entscheidung stellt das Bundesverfassungsgericht – wie bei solchen Fällen üblich – die beiden entgegenstehenden Interessen der Betroffenen einander gegenüber und wägt ab, welches Interesse schutzwürdiger ist. Durch die frei auffindbaren Artikel wird das allgemeine Persönlichkeitsrecht T.s beeinträchtigt, das sein Privatleben, seine personenbezogenen Daten und sein Interesse an einer zweiten Chance (Stichwort Resozialisierung) schützt. Der Spiegel konnte sich auf die Presse- und Meinungsfreiheit berufen. Beide Interessen haben Verfassungsrang, sind also sehr wertvoll.

Zugunsten von T. berücksichtigte das Bundesverfassungsgericht, dass seine Tat schon sehr lange zurückliegt, auch wenn es zugleich betont, dass T. nicht frei darüber verfügen kann, welche Informationen über ihn verbreitet werden dürfen und welche nicht. Zugleich machte das Gericht auch deutlich, dass eine grundsätzlich bestehende Pflicht zur nachträglichen Anonymisierung von Straftätern die Informations- und Pressefreiheit sehr stark einschränken würde.

Die Lösung dieser Zwickmühle sah das Bundesverfassunsgericht darin, den Fall an den BGH zurückzuverweisen und dem Gericht einen „Arbeitsauftrag“ mit auf den Weg zu geben. Es muss prüfen, ob es technisch möglich ist, die Spiegel-Artikel unverändert online abrufbar zu lassen und sie nur dann auffinden zu können, wenn man nach dem Mordfall sucht, ohne T.s Namen einzugeben. Bei einer gezielten Suche nach T.s Namen dürften die Artikel hingegen nicht mehr auffindbar sein.

Ob diese Vorstellung des Bundesverfassunsgericht technisch realisierbar ist, erscheint fraglich. Das Gericht hat aber zugleich Leitlinien gegeben für die schwierige Vereinbarkeit von dem unendlichen und grenzenlosen Wissensarchiv Internet und dem Anspruch jedes Einzelnen auf den Schutz seiner personenbezogenen Daten und auf Achtung seiner Privatsphäre. Wie die Interessen bei der archivierten Berichterstattung über Straftaten konkret auszugleichen sind, bleibt trotz der Entscheidung allerdings einstweilen offen.

 

Oliver Stegmann

Oliver Stegmann

ist Rechtsanwalt, Fachanwalt für Gewerblichen Rechtsschutz und Mediator (DAA). Er ist Partner in der Kanzlei Esche Schümann Commichau in Hamburg. Zuvor hat er unter anderem als Justiziar für die Frankfurter Allgemeine Zeitung gearbeitet.

Telefon: 040 – 36 80 51 40
E-mail: o.stegmann@esche.de
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