Geheimnistuerei um Infektionszahlen
von Oliver Stegmann
aus drehscheibe 03/21
Die Infektionszahlen gehören zu den wichtigsten Informationen über die Corona-Pandemie. Sie sind Grundlage für die jeweiligen infektionsschutzrechtlichen Maßnahmen. Kein Wunder also, dass diese Zahlen in der Berichterstattung eine wesentliche Rolle spielen. Gerade für Medien mit regionaler Verbreitung sind neben den bundesweiten Infektionszahlen Informationen über die im Erscheinungsgebiet der Zeitung vorhandenen Infektionen wichtig. Das dachte sich auch eine Regionalzeitung aus Rheinland-Pfalz und wollte vom Landkreis Südwestpfalz die vergangenen und aktuellen Infektionszahlen erfahren, aufgeschlüsselt nach den einzelnen Ortsgemeinden. Bislang hatte die Behörde nur die Zahlen auf Ebene der Verbandsgemeinden mitgeteilt. Den Auskunftsanspruch stützte die Zeitung auf das Landesmediengesetz Rheinland-Pfalz (Paragraf 12a). Entsprechende Auskunftsansprüche gibt es in allen anderen Pressegesetzen der Länder.
Der Landkreis wies das Auskunftsbegehren zurück. Begründung: Es gebe Ortsgemeinden mit weniger als 200 Einwohnern. Wenn man Zahlen darüber herausgebe, sei das so, als würde bezogen auf einzelne Straßen informiert. Das berge die Gefahr, dass einzelne infizierte Personen identifiziert werden könnten.
Die Zeitung gab sich damit nicht zufrieden und zog mit einem Eilantrag vors Verwaltungsgericht (VG) Neustadt. Das Gericht sah die Sache so wie der Landkreis. Der Auskunft stehe das Recht der Bürger auf informationelle Selbstbestimmung entgegen. Dem Gericht zufolge sei nicht auszuschließen, dass infizierte Personen, insbesondere in den kleinen Gemeinden, etwa über den Austausch in sozialen Netzwerken bestimmbar seien. Die Mitteilung von Infektionszahlen bezogen auf so kleine Gebiete könnte auch dazu führen, dass Spekulationen Vorschub geleistet wird, ob sich Infizierte oder in Quarantäne befindliche Personen an die vorgeschriebenen Maßnahmen halten, so das Verwaltungsgericht.
Gegen diese Entscheidung legte die Zeitung Beschwerde vor dem Oberverwaltungsgericht (OVG) Koblenz ein und war erfolgreich. Dieses entschied, dass ein „schutzwürdiges privates Interesse“ lediglich dann gegeben sei, wenn die Mitteilung der Infektionszahlen Grundrechte Dritter verletzt. Das sei nur der Fall, wenn die Zahlen pro Ortsgemeinde „personenbezogene Daten“ enthielten. Die Angabe, wie viele Personen in einer Gemeinde mit dem Corona-Virus infiziert seien, sei für sich kein personenbezogenes Datum. Nur dann, wenn aus diesen Zahlen ein Bezug zu einer bestimmten Person hergestellt werden könnte, könne man die Zahlen als personenbezogen ansehen.
Die Richter in Koblenz waren der Auffassung, dass alleine aufgrund der Infektionszahlen pro Ortsgemeinde dieses Risiko nicht bestand. Denn die von der Zeitung verlangte Auskunft beschränke sich auf die reinen Zahlen. Auch die vom Verwaltungsgericht thematisierten Bedenken, dass Personen durch Zusatzwissen, wie bekannt gewordene Quarantänemaßnahmen oder Betriebsschließungen, identifiziert werden können, griffen nicht durch. Entscheidend sei, dass schon der Umstand, dass sich eine Person in Quarantäne befinde oder dass es zu einer Betriebsschließung gekommen sei, den Rückschluss auf eine Infektion ermögliche. Die von der Behörde mitgeteilten Infektionszahlen auf der Ebene der Ortsgemeinden leisteten zur Identifizierung keinen zusätzlichen Beitrag.
Schließlich stellte das Oberverwaltungsgericht noch klar, dass man pauschal das Kriterium Ortsgemeinde nicht mit Identifizierbarkeit verknüfen könne, um den presserechtlichen Auskunftsanspruch abzulehnen. Denn einzelne Ortsgemeinden könnten mehr Einwohner haben als besonders kleine Verbandsgemeinden. Da die Behörde in der Vergangenheit auch Infektionszahlen bezogen auf diese kleinen Verbandsgemeinden mitgeteilt hatte, verhalte sich der Landkreis widersprüchlich, wenn sie jetzt die Herausgabe von Zahlen auf Ebene der Ortsgemeinde verweigere.
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